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Bis zu 400 meist junge Nazi-Gegner haben nach Polizeischätzung am 16. April friedlich durch die Wetzlarer Altstadt demonstriert. Die Wetzlarer Antifaschisten vom Bündnis „Bunt statt Braun“ und der örtliche DGB hatten an diesem Tag Unterstützung von Gießener Antifa-Initiativen und Mitgliedern der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) aus ganz Mittelhessen.

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Auftakt und Abschluss der zweistündigen Demo war in der Fußgängerzone Bahnhofstraße. Dort stimmte der 23-jährige Gießener Rapper ‚GNZ‘ auf den Protestmarsch ein: „Was sie alles sagen – an den vielen kalten Tagen ist leider Bullshit!“, heißt es im Song mit Blick auf die Propaganda von Pegida, AFD und NPD. Die Schlussfolgerung: „Fremdenhass, Feuer legen, mehr Profite: nicht mein Ding!“.

Eine erste Zwischenkundgebung gab es am Buderusplatz, wo es vor einem halben Jahr mit 60 Leuten einen Blockade-Versuch gegenüber einer 250-köpfigen Demo von Rechtsextremen gab. Daran hatte auch die 27-jährige Wetzlarerin Hanna Petri teilgenommen, die gestern aus Brüssel zur Demo  angereist ist. Sie arbeitet dort bei der Europäischen Kommission an Klimaschutzprojekten mit: „Eine Rückkehr zum verheerenden Nationalismus vergangener Tage? Das verträgt Europa nicht! Das geht gar nicht!“.

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Faschisten wurde mit Sprechchören das Recht auf freie Meinungsäußerung abgesprochen: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“. Der Losung „Hoch die internationale Solidarität!“ wurde mehrsprachig Ausdruck verliehen: „Siamo tutti antifascisti!“, „Alerta antifascista!“, „No border, no nation, Stopp deportation!“, „What solution? Revolution!“, „Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazi-Pest!“. Am CDU-Kreisbüro in der Moritz-Hensoldt-Straße hieß es mit Blick auf Veröffentlichungen im ‚Wetzlar Kurier‘ des CDU-Landtagsabgeordneten H.J. Irmer: „Rassismus hat viele Gesichter. Eines davon gehört Herrn Irmer“. Es wurden auch Irmer-Äußerungen in der rechten Postille „Junge Freiheit“ zitiert, ebenso dessen Aussagen vor der Gießener Burschenschaft Dresdenia Rugia, „nachweislich eine Kaderschmiede der sächsischen NPD-Fraktion“. Zwei Dutzend Polizisten hatten sich als Cordon vor dem CDU-Büro aufgestellt. Der Protest blieb aber verbaler Art.

Dem Staat und seinen Institutionen trauen die meisten der jungen Demonstranten nicht über den Weg: „Auf den deutschen Staat kann man sich beim Niederhalten des Nazismus nicht verlassen“, wurde die in Hamburg lebende Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano zitiert. Am Hauser Tor, wo eine Säule an die Wetzlarer Opfer des Faschismus erinnert, ergriff Harald Würges von der Flüchtlingshilfe Mittelhessen das Wort: „Ihr tut Wetzlar gut!“, rief der evangelische Diakon und Tafel-Verantwortliche den Demonstranten zu. Das Asyl-Paket 2 der Bundesregierung tauge nicht zur Problemlösung und erschwere die Lebensbedingungen der hier lebenden Migranten. Darja E. von der Wetzlarer DKP-Gruppe verwies auf die Geldverschwendung durch Steueroasen und die „Rettung von Zockerbanken mit Steuermitteln“. Sie war in Begleitung  des afghanischen Flüchtlings Hüsein, der ebenfalls das Wort ergriff: „Es macht mich traurig, dass wir Flüchtlinge von vielen so negativ bewertet werden. Ich möchte keinem Einheimischen etwas wegnehmen. Ich möchte hier in Frieden leben, die deutsche Sprache  lernen und mir in diesem Land eine berufliche Perspektive aufbauen.“ Auf dem letzten Abschnitt der Demoroute verteilte ein in Wetzlar lebender syrischer Flüchtling gelbe Tulpen, als „ein Zeichen der Dankbarkeit gegenüber denen, die mit uns solidarisch sind“.

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Auf der Abschlusskundgebung überbrachte Volodymyr Chernov Grüße vom Wetzlarer Ausländerbeirat. DGB-Sekretär Ulf Immelt bedankte sich gleichermaßen bei den Demonstranten und „den Kollegen von der Polizeigewerkschaft GdP“ für den zugleich kämpferischen und friedlichen Verlauf der Demonstration. Eine Theatergruppe des Hessenkollegs führte einen Sketch auf, der in dem Appell „Nie wieder 1933!“ gipfelte. Am Rande der Kundgebung wurden – gegen Spende für die VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) – Bücher aus dem  Nachlass der vor 3 Monaten verstorbenen Wetzlarer Historikerin Marianne Peter angeboten. Sie hatte Regionalstudien zum Arbeiterwiderstand im „3. Reich“  verfasst und in den 80er Jahren Besuchsdelegationen von ehemaligen Zwangsarbeitern aus Osteuropa nach Wetzlar organisiert.