Aktuelles

Hier informieren wir regelmäßig über Aktivitäten der Kreise und des Bezirks.

0

Nazi-Aufmarsch in Frankfurt am 20. Juni geplant

UZ: Rassisten und andere extreme Rechte mobilisieren aktuell zu einem bundesweiten Aufmarsch, der am 20. Juni in Frankfurt am Main stattfinden soll. Welche Ziele verfolgen die Rechten?

Hans Christoph Stoodt: Die Gruppe Widerstand Ost-West (WOW) hat eintausend DemonstrantInnen für eine Kundgebung und einen Marsch durch die Innenstadt angekündigt. Anmelderin ist Ester Seitz, ehemals Pegida. Sie, Michael Stürzenberger (DIE Freiheit, PI), der bekannte Islamhasser Michael Mannheimer und andere wollen derzeit die Führung der Pegida-Bewegung an sich reißen, die sie Lutz Bachmann streitig machen. Sie repräsentieren einen zum Faschismus hin offenen Flügel der Pegida-Bewegung im Westteil der BRD, indem sie mit Gruppen der „Pro“-Parteien, und solchen wie „Die Rechte“, „Der III. Weg“ usw. eng zusammenarbeiten. Sie sind aber auch im Kontakt mit altbekannten Nazimultiplikatoren wie Thomas „Steiner“ Wulff oder „SS-Siggi“ Borchardt. Es geht ihnen um einen Machtkampf innerhalb der islamfeindlichen extremen Rechten. Lutz Bachmann agiert dabei von Dresden aus rigide und mit Auftrittsverboten, die er über Pegida e. V. durchzusetzen versucht. Nicht etwa, weil er weniger rechts wäre, sondern weil er den Laden unter seiner Kontrolle halten möchte.

UZ: Was ist Ihr Ziel am 20. Juni?

Hans Christoph Stoodt: Das ergibt sich aus der vorherigen Antwort: Wir müssen dem sogenannten WOW eine solch schwere Niederlage zufügen, dass sie ihren Plan ein für alle Mal aufgeben. Das ist eine Frage, die sicher nicht nur für Frankfurt von Bedeutung ist. Deswegen planen die Anti-Nazi-Koordination und andere, den Naziaufmarsch effektiv mit den Mitteln zivilen Ungehorsams zu verhindern. Aber auch das „Römerbergbündnis“, es besteht aus eher offiziellen Akteuren wie DGB, Kirchen, Jüdischer Gemeinde usw. hat eine Gegenkundgebung angemeldet, die zwar im Rahmen einer Protestkundgebung bleiben wird, aber in nächster Nähe zum angemeldeten Kundgebungsort des WOW angekündigt wurde. Nach unserer Einschätzung führt das bereits dazu, dass die WOWVeranstaltung an den Stadtrand verlegt werden könnte. Ein erster Teilerfolg.

UZ: Bundesweit scheinen die PegidaAnhänger zunehmend unter Mobilisierungsschwierigkeiten zu leiden. Wie stellt sich die Situation in Frankfurt dar?

Hans Christoph Stoodt: WOW tritt hier als Bündnis erstmals auf. Eine wirkliche Basis hat es in Frankfurt bislang nicht. Pegida in Frankfurt ist schwach und in vier Gruppen zersplittert, die gemeinsam weniger als zweihundert Menschen mobilisieren können – was aufgrund interner Querelen aber nie passiert. Das Problem sind hier eher offene Nazis, AfD, REPs, deutsche Nationalisten wie die Gruppe um den Stadtverordneten Wolfgang Hübner (Freie Wähler), rechtsevangelikale Fundamentalisten und Gruppen wie die Piusbrüder, Rassisten und Identitäre. Gäbe es für sie alle ein gemeinsames attraktives Angebot, dann hätten wir schon eher ein Problem.

UZ: Die Polizei ist bei den Protesten gegen derlei Aufmärsche in den vergangenen Monaten mit der leider schon gewohnten Gewalt gegen Antifaschisten vorgegangen. Mit welchem Szenario rechnen Sie für den 20. Juni?

Hans Christoph Stoodt: In der Tat. Wir von der ANK sind seit dem 5. Januar fast allwöchentlich auf der Straße gewesen, um Pegida-Veranstaltungen unmöglich zu machen. Fast jedes Mal gab es polizeiliche Faustschläge, Fußtritte, Knüppelschläge und Pfeffersprayangriffe. Es wurden Fahnen der IG-Metall und der VVN polizeilich zerstört, Kolleginnen und Kollegen der IG-Metall und viele andere mehrfach eingekesselt. Es gab Verletzte und Festnahmen. Es gab aber auch sehr solidarische Aktionen bis hin zu Spontandemos zum Polizeipräsidium mit der Besetzung
einer großen Verkehrskreuzung, wodurch wir der Forderung nach Freilassung von Festgenommenen Nachdruck verleihen konnten. Wie die Hüter der Herrschenden-Ordnung am 20. Juni auftreten, das wird wie immer von den Kräfteverhältnissen vor Ort abhängen. Je mehr entschlossene Menschen gegen den WOW auf der Straße sind und je unberechenbarer für die Polizei ihre politische Mischung ist, desto niedriger ist die Gefahr, dass es Gewalt seitens der Polizei gibt.

UZ: Dass der Naziaufmarsch noch von den Behörden verboten wird, schließen Sie aus?

Hans Christoph Stoodt: Ja. Das zeigt jedenfalls die Erfahrung in Frankfurt. Wir verstehen zudem antifaschistischen Widerstand vorrangig als gesellschaftliche Aufgabe und appellieren nicht an die Behörden, ein Verbot zu verhängen. Wir nehmen allerdings zur Kenntnis, wie sie agieren und prangern das an: z. B. ein flächendeckendes Veranstaltungsverbot für alles anlässlich Blockupy 2012 – und keinerlei Aktivität gegen den neofaschistischen WOW. Das sind klare anti-antifaschistische Selbstpositionierungen des staatlichen Sicherheitsapparats.

UZ: Sie haben sich in der Vergangenheit intensiv mit anti-islamischem Rassismus beschäftigt. Welche Gegenstrategien empfehlen Sie der politischen Linken?

Hans Christoph Stoodt: Direkte und kontinuierliche Kontakte mit Muslimen in Moscheegemeinden, Verbänden, Gewerkschaften, politischen Organisationen. Die Frage der Religionszugehörigkeit ist zweitrangig, wenn es beiderseits um gemeinsames Handeln gegen extreme Rechte und Rassisten geht. Dagegen ist „Islamkritik“ immer dann ein Deckmantel für reaktionärsten Rassismus, wenn sie nicht zugleich allgemeine Religions- und damit konsequent immer auch Herrschaftskritik ist. Wo immer das nicht geschieht, geht es nicht um „den Islam“, sondern um vermeintliche Vorrechte der angeblich immer schon Hiergewesenen. Für Marxistinnen und Marxisten gilt weitergehend: „Islamkritik“ ist reaktionär, wenn sie nicht zugleich mit allgemeiner Religions- und Herrschaftskritik immer auch mit gegen den Kapitalismus gerichteter Aktivität für eine andere Gesellschaft, also den Sozialismus/ Kommunismus verbunden ist. Unsere Position ist an der Seite rassistisch und nationalistisch angegriffener Kolleginnen und Kollegen, unabhängig davon, ob oder was sie religiös glauben oder nicht.

UZ: Fehlt der Linken in diesem Land eine geeignete Strategie in Sachen Antifaschismus?

Hans Christoph Stoodt: So würde ich das nicht formulieren. Aber richtig ist: spätestens im Jahr 2014 ist eine tiefe Krise der antifaschistischen Bewegung offensichtlich geworden, die schon lange schwelt. Führende Organisationen aus dem Umfeld ehemaliger oder noch vorhandener mehr oder weniger „antideutscher“ Positionen haben sich in diesem Jahr aufgelöst oder umbenannt und den Antifaschismus aus dem Namen gestrichen. Und das im Jahr der Ukraine-Krise, im Jahr „plötzlich verstorbener“ Zeugen in der Aufarbeitung des Komplexes NSU-Verfassungsschutz, im Jahr der zugespitzten Griechenland-Hetze, immer neuer Skandale im Bereich des milliardenfachen regierungsamtlichen Grundrechtsbruchs im NSA-Kontext – also dem Unterschreiten selbst der formalen bürgerlich-demokratischen Rechte. Die Gruppen, die sich jetzt aufgelöst haben, haben nicht selten selbst eine islamfeindliche Grundhaltung, die nachweislich schon seit Jahren sogar zur punktuellen Kooperation mit rechten Kräften geführt hat.

Ich persönlich bin der Auffassung, dass solche Positionen objektiv rechts sind und im antifaschistischen Bereich darum nichts zu suchen haben. Daraus sollten in einer Phase der Reorganisation die Konsequenzen gezogen werden. Antifaschismus, Antimilitarismus und Antiimperialismus gehören in Theorie und Praxis, zusammen. Ich vermute: Dann, wenn das so und bundesweit zwischen den heute aktiven Antifaschistinnen und Antifaschisten ausdiskutiert und zur Grundlage gemacht worden ist, wird es leichter sein, wieder für breite Bündnisse über vorhandene und auch notwendig bestehen bleibende Unterschiede in antifaschistischen Gruppen, Organisationen und Initiativen hinweg zu schmieden. Der Weg dahin wird nicht leicht, aber er lohnt sich.

Das Gespräch führte Markus Bernhardt

Aus UZ, Zeitung der DKP, Nr. 24/2015