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Es gibt Gegenwind

Paragraph 219 a: Verurteilte Ärztin blickt auf anstrengende Jahre zurück, sieht aber Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite. Ein Gespräch mit Kristina Hänel, Ärztin in Gießen

Weil Sie als Ärztin auf Ihrer Webseite über Schwangerschaftsabbrüche informieren, wurden Sie 2017 wegen Verstoßes gegen Paragraph 219 a des Strafgesetzbuches zu einer Geldstrafe verurteilt, im Berufungsprozess am 12. Dezember vor dem Landgericht in Gießen erneut. Was sagt das aus Ihrer Sicht über Politik und Justiz in diesem Land?

Es zeigt, dass die Gerichte bestehende Gesetze anwenden: mehr oder weniger. Im Berufungsprozess war spürbar, dass weder der Staatsanwalt noch die Richterin einen strafrechtlichen Sinn in dem Gesetz sehen.

Weshalb sollte Ihre Geldstrafe 2017 noch 6.000 Euro betragen – und in der Berufungsinstanz dann 2.500 Euro beziehungsweise 25 Tagessätze zu je 100 Euro?

Dafür gab es mehrere Gründe: Mir als Angeklagter wird zugutegehalten, dass das Verfahren jetzt schon lange läuft. Über meine Vermögensverhältnisse wurde gesprochen; so wurde der Tagessatz reduziert. Spürbar war, dass aufgrund von Zweifeln an der Sinnhaftigkeit offenbar die niedrigst mögliche Strafe angesetzt wurde.

Zweifelten die Vorsitzende Richterin Regine Enders-Kunze und deren Strafkammer an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift?

Mein Anwalt und ich hatten angeregt, dass das Gericht selbst die Verfassungsmäßigkeit prüfen lässt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegt. Dazu konnten sich die Gerichte aber nicht durchringen. Genau das ist aber unser Ziel: Wir wollen vor das Bundesverfassungsgericht. Denn mit der Neufassung des Paragraphen 219 a Ende Februar durch die Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD wurde dessen Inkongruenz sogar verstärkt.

Inwiefern?

Vor der Reform war es verboten, dass Ärzte sagen, dass sie Abbrüche vornehmen und nähere Informationen dazu bereitstellen – weil dieser ganze Vorgang als Werbung ausgelegt wurde. Nach dem Kompromiss dürfen Ärzte zwar sagen, dass sie Abbrüche durchführen, aber keinerlei weitergehende Informationen geben. Sie müssen auf eine offizielle Liste verweisen.

Welche Argumente sprechen dagegen?

Aus meiner Sicht dürfen den Frauen, die sich für einen Abbruch entschieden haben, keine Informationen vorenthalten werden. Allein der Gedanke eines solchen Leseverbots ist absurd. Beispiel: Wenn ich mitteile, dass Binden zum Eingriff mitzubringen sind, wird so keine Frau verleitet, einen Abbruch vorzunehmen. Ein Sinn dahinter lässt sich vom Gesetzgeber nicht beweisen. Ärzte dürfen den Frauen gar nicht für sie relevante Informationen vorenthalten. Obendrein ist es nicht einzusehen, dass im Gegensatz zu Ärzten Abtreibungsgegner jegliche Informationen im Internet veröffentlichen dürfen – auch völlig unsinnige.

Ihre Berliner Kollegin Bettina Gaber hat bereits Verfassungsbeschwerde eingelegt. Wie gehen Sie vor?

Weil Bettina Gabers Verfahren sich nicht so lange hinzog wie meines, ist sie schneller beim Bundesverfassungsgericht angekommen. Ich muss noch warten, bis das Oberlandesgericht mich rechtskräftig verurteilt hat. Nach der Reform hatte letzteres mein Verfahren an das Landgericht zurückverwiesen. Wir arbeiten zusammen an der Verfassungsbeschwerde. Vermutlich werden die Verfahren zusammengelegt.

Wie ist das gesellschaftliche Klima entstanden, in dem Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, unter Druck geraten und sogenannte Lebensschützer vor staatlich anerkannten Beratungsstellen, Praxen und Kliniken Frauen belästigen?

Seit 1975 gibt es in der BRD eine Gesetzeslage, die Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, kriminalisiert. Nach der »Wiedervereinigung« galt das auch auf dem Gebiet der bisherigen DDR, die ein liberaleres Gesetz hatte. Das macht es Abtreibungsgegnern leicht. Seit mehr als zehn Jahren zeigen sie Ärztinnen und Ärzte an. Die meisten Verfahren wurden eingestellt, weil Justiz und Polizei kein Interesse daran hatten. Nun aber schwappt eine europa- und weltweite fundamentalistische Strömung der Abtreibungsgegner nach Deutschland, die versucht, hier Fuß zu fassen. Diese problematische gesellschaftliche Stimmung ist aus meiner Sicht auch durch die politische Besonderheit der großen Koalition begründet – durch deren Versuche, sich nach rechts offen zu präsentieren, um Wählerstimmen der AfD zurückzugewinnen. Es gibt aber Gegenwind. Die Mehrheit der Bevölkerung ist wachgerüttelt und für die Aufhebung des Informationsverbotes.

Was hat die Geschlechterfrage mit dem gesellschaftlichen Rechtsruck zu tun?

Faschisten haben historisch schon immer versucht, Frauengleichberechtigung zurückzudrehen und Sexualität zu behindern. Die Rechten versuchen, frauenfeindliche Interessen durchzusetzen. Proteste der Feministinnen zur Abtreibungsfrage sind ein wichtiger Aspekt, werden aber allein den Rechtsrutsch nicht aufhalten können. Zwischen 1933 und 1945 gab es die Todesstrafe in Deutschland und die Einmischung des Staates in die Frage: Wer darf Kinder kriegen, wer muss abtreiben? Die Frage ist: Wie stark ist die Demokratie? Da müssen mehr Menschen mitmachen. Heute wird von konservativer Seite oft die Ablehnung der Diversität mit dem Ansinnen vermischt, Frauenfreiheit zurückzudrängen.

Eine starke Frauenbewegung in den 1970er und 80er Jahren protestierte gegen die Reduktion von Frauen auf die Funktion als »Gebärmaschine« und erinnerte an das während des Hitler-Faschismus verliehene »Mutterkreuz«. Gehen wir wieder solchen Zeiten entgegen?

Es wirken Kräfte wie Bundesinnenminister Horst Seehofer von der CSU, der den Kompromiss zum Schwangerschaftsabbruch mit ausgearbeitet hat, oder auch der CDU-Politiker Friedrich Merz, der eine restriktive Position vertritt. Von beiden ist bekannt, dass sie zwei der 138 Abgeordneten waren, die 1997 im Bundestag dagegen stimmten, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar wird. Es gehört zusammen, die Frau zum Objekt zu reduzieren und zur Benutzung durch den Mann freizugeben. Die Bevölkerung stimmt solchen gegen die Selbstbestimmung der Frau gerichteten Ansichten aber zum Großteil nicht mehr zu.

Autorin: Gitta Düperthal (Junge Welt-Ausgabe vom 17. Januar 2020)