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Frankfurt am Main: Kundgebung gegen rechtes Netzwerk in Sicherheitsbehörden. Polizeipräsident tritt zurück
Als in der Mehrzahl sehr junge und wütende Menschen am Montag Abend (13. Juli) vor dem 1. Polizeirevier auf der Frankfurter Zeil demonstrierten, hatte sich das Ausmaß des Skandals auch bei vielen politisch eher desinteressierten Menschen in Hessen herumgesprochen. Was Innenminister Beuth (CDU) wenige Tage zuvor noch energisch abgestritten hatte, ist nun offensichtlich: In hessischen Polizeirevieren gibt es weit verzweigte und zunehmend selbstbewusste rechte Netzwerke. Und dazu ein Schweigekartell der politisch Verantwortlichen.
Aufgerufen zu der Kundgebung hatte die hessische Linksjugend mit der Losung »Rechten Sumpf in Behörden und Polizei austrocknen«. Etliche linke Organisationen, von der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) über die Föderation demokratischer Arbeitervereine (DIDF), Fridays for Future, die Interventionistische Linke und Black Power Frankfurt bis zur Grünen Jugend und den Jusos Frankfurt, äußerten sich dazu. Hintergrund war der jüngste Polizeiskandal, der losbrach, nachdem bekannt geworden war, dass private, öffentlich nicht zugängliche Daten der hessischen Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei, Janine Wissler, von einem Wiesbadener Polizeicomputer abgerufen worden waren und diese danach Drohungen per Post erhielt.
Der Landessprecher der Linksjugend, Jonas Keller, sprach in seiner Rede vor dem Frankfurter Polizeirevier von einer »hessischen Tradition«. Denn in dem Bundesland waren bereits 2018 private Daten der Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz abgerufen und »Neonazis zugespielt worden, um Morddrohungen zu adressieren«. Jede Spur von bisherigen Verdächtigen führe zur Polizei, weshalb Keller nur noch von den »sogenannten Sicherheitsbehörden« sprach. In den Fällen der jeweils mit »NSU 2.0« unterzeichneten Drohmails tappten die Behörden seit zwei Jahren im Dunkeln. Oder doch nicht? »Haben sich Behörden und Verantwortliche zu einem Spaziergang im Dunkeln verabredet?«, fragte Keller.
Der Skandal weitete sich am Dienstag aus. Wie die Frankfurter Rundschau (FR) am Dienstag über einen ihr vorliegenden »internen Polizeivermerk« berichtete, wurden ebenso persönliche Daten der linken Kabarettistin Idil Baydar von einem hessischen Polizeirechner recherchiert. Auch sie sei danach monatelang mit Schmäh- und Drohschreiben überzogen worden. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Frankfurt bestätigte gegenüber dpa, dass es »weitere Fälle« gebe. Es dürfe »keine Gefahr von einer Institution ausgehen, die dem Schutz dienen soll«, mahnte daraufhin Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Landtag. Bei der hessischen Polizei sei das allem Anschein nach nicht mehr gegeben. Am Dienstag nachmittag trat Beuth vor die Presse, um bekanntzugeben, dass der hessische Landespolizeipräsident Udo Münch zurücktrete. Er übernehme damit als oberster Polizist Verantwortung für Versäumnisse, »die er nicht alleine zu vertreten hat«.
»Beuth muss weg«, hatte die Menge am Montag vor dem Frankfurter Polizeirevier skandiert. Die faschistischen Umtriebe bei der Polizei müssten lückenlos aufgeklärt und verfolgt werden. Martin Kliehm, Fraktionsvorsitzender der Frankfurter Linken, forderte die anwesenden Polizisten auf: »Distanzieren Sie sich von den Neonazis in Ihren eigenen Reihen.« Der Landtagsabgeordnete Ulrich Wilken forderte Klarheit darüber, wie viele Nazis an welcher Stelle aktiv sind, um dagegen politisch vorgehen zu können. Einer der Polizisten beklagte auf Nachfrage gegenüber jW eine »pauschalisierende Verurteilung«. Und: Mehr als das, was aus der Zeitung zu erfahren sei, wisse er nicht.
Während Beuth versucht, mit vorgeschützter Unwissenheit sein Amt zu retten, stellte LKA-Präsidentin Sabine Thurau laut FR Anzeige gegen Unbekannt wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses. Es gehe darum, zu klären, wer detaillierte Informationen im Fall Wissler an die Presse gegeben hat. Das erinnert an Tucholsky: »Im Übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher, als der, der den Schmutz macht.«
Dieter Bahndorf von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) erinnerte an das Jahr 1920: Vor hundert Jahren, am 13. März 1920, hätten alte Eliten des Kaiserreichs zusammen mit Faschisten gegen die Weimarer Republik geputscht. Mit der sogenannten Sicherheitspolizei hätten sie Verbündete auch in Frankfurt am Main gehabt. Damals hätten entschlossene Frankfurter Arbeiter die Innenstadtreviere der Polizei gestürmt und die Putschisten entwaffnet. Der undemokratische Geist in der Polizei, so Bahndorf, wende sich aber wieder gegen Menschen, die gegen einen erneut erstarkenden Faschismus protestierten.
Quelle: Junge Welt, Ausgabe 15. Juli. Artikel von Gitta Düperthal