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Ohne Corona-Konzept: Bildungsgewerkschaft GEW wirft hessischer Landesregierung planloses Agieren in Schulpolitik vor. Ein Gespräch mit Tony C. Schwarz, Stv. Vorsitzender der GEW Landesverband Hessen
Die hessische Landesregierung erklärte, im zweiten Lockdown flächendeckende Schulschließungen vermeiden zu wollen. Wie ist die Stimmung an den Schulen?
Wie überall in der Republik ist die Stimmung bei Lehrkräften, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern in Hessen gespalten, je nachdem, wie die Gefahrenlage durch das Coronavirus eingeschätzt wird. Oft sind persönliche Hintergründe ausschlaggebend, welche Einstellung dazu vertreten wird. Berufstätige Eltern, darauf angewiesen, dass ihre Kinder in die Schule gehen, fühlen sich meist verunsichert; hin- und hergerissen zwischen Gesundheitsschutz und wirtschaftlichen Erfordernissen. Kolleginnen und Kollegen sehen es mitunter entspannt und werfen der GEW vor, zu entschieden gegen die Schulöffnung zu argumentieren. Oft nehmen wir in unserem Arbeitsalltag aber Angst vor der Pandemie wahr.
Erklärungsbedürftig ist, warum befreundete erwachsene Schülerinnen und Schüler abends nicht in eine Kneipe wegen coronabedingter Schließung gehen können, morgens aber im völlig überfüllten Schulbus zusammensitzen und im Schulalltag mit 28 weiteren Jugendlichen plus Lehrkraft im Klassenraum Unterricht machen. Alles scheinbar völlig normal, außer, dass alle 20 Minuten gelüftet wird und ansonsten zeitweise Masken getragen werden!
Eltern, die beim ersten Lockdown gedrängt hatten, Schulen nicht zu schließen, könnten zufrieden sein, oder?
Medien berichten, dass Infektionszahlen ständig steigen; was nachweislich stimmt. Die Rede ist vom Killervirus, das wütet. Damit stellen sich Fragen: Wie kann es sein, dass alle Menschen ihre Kontakte reduzieren sollen, nur an Schulen nicht? Selbst Tierparks sind zu, wo man an der frischen Luft wäre. In Schulen aber hockt man eng beieinander, übrigens nicht immer in ein und derselben Gruppe. Kinder, die wegen Sprachschwierigkeiten in Vorklassen Förderunterricht benötigen, kommen etwa aus verschiedenen Gruppen zusammen. Im Bus und in Pausen mischen sich die Schülerinnen und Schüler. Immer mehr Menschen wundert all dies sehr.
Welchen Vorteil hätte es, wie von der GEW gefordert, Lerngruppen zu teilen, sowie täglich oder wöchentlich zwischen Präsenz- und Distanzunterricht zu wechseln?
Es entzerrt das Unterrichtsgeschehen, wenn nur 14 statt 28 Kinder oder Jugendliche in einer Klasse sitzen. Intensives Lernen wäre dort in einer kleineren Gruppe möglich, während die andere mit Aufgaben zu Hause ist und später wieder in die Schule wechselt. So wären in Klassenräumen Abstandsgebote einzuhalten. Was soll das, Regeln, die sonst in der Öffentlichkeit gelten, nicht ansatzweise für Schulen vorzusehen? Aus unserer Sicht ist alles besser, als ständig wieder ganze Schulen oder Klassen in Quarantäne zu schicken.
Was halten Sie von dem vom hessischen Kultusministerium anvisierten »Vier-Stufen-Modell«?
Mit Schreiben vom 1. September hatte das Kultusministerium vier Planungsszenarien publiziert. Konkret: Stufe eins mit angepasstem Regelbetrieb, so wie jetzt; Stufe zwei mit eingeschränktem Regelbetrieb; Stufe drei – das von der GEW priorisierte Wechselmodell von Präsenz- und Distanzunterricht; vierte Stufe: Schülerinnen und Schüler müssen zu Hause bleiben, wobei viele abgehängt werden könnten. Daraufhin hatten einige Landkreise schon lokale Konzepte entwickelt, doch das Ministerium hatte später klargestellt, zur Einführung verschiedener Stufen selbst die Oberhand behalten zu wollen.
Es gibt bis dato also kein Konzept?
Nichts Genaues weiß man nicht.
aus: Junge Welt, 10.11.20, Das Interview führte Gitta Düperthal