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Für Ausbau der A 49 räumt Polizei in Hessen den von Umweltaktivisten besetzten Dannenröder Forst. Ein Gespräch mit Charlie Linde

Der Konflikt zwischen Polizei und Waldbesetzern um den Bau der Autobahn A 49, das Abholzen des Dannenröder Forstes und das Räumen der Waldhäuser dort spitzt sich zu. Was ist aktuell los?

Nachdem die Polizei im nahegelegenen Herrenwald in Kooperation mit der Baufirma Deges schon geräumt und gerodet hat, haben Aktivistinnen und Aktivisten im »Danni« etwa 400 Barrikaden errichtet. Dennoch wurde ein Baumhaus in geringer Höhe bereits zerstört, das nicht – wie andere – bis zu 20 Meter vom Boden entfernt war. Die Polizei beginnt für den Autobahnausbau ein Schutzgebiet zu zerstören, das 500.000 Menschen mit Trinkwasser versorgt. Zugleich zerstört sie unser Zuhause, wo wir seit einem Jahr solidarisch versuchen, im Kleinen »eine bessere Welt« zu leben. Unsere Infrastruktur, die sogar mit Solaranlagen ausgestattet ist, hat sogar die Polizei lobend erwähnt. All das wird uns gerade genommen.

Hat die Polizei das Baumhausdorf »Drüben«, in der Nähe der B 62, das sie schon am Dienstag umstellt hatte, jetzt geräumt?

Nein. Die Polizei hat zugegeben, dass es sie vor große logistische Schwierigkeiten stellt, unsere Baumhäuser zu räumen. Am Dienstag hatte sie Barrikaden davor beseitigt, die in der Nacht zum Mittwoch wieder aufgebaut wurden. Sie ist also am selben Ort, wo sie tags zuvor schon war. Ziel ist, schweres Gerät für die Rodung in den Wald zu bringen. Am Dienstag gab es einen Schlagstockeinsatz gegen einen Aktivisten, der am Kopf verletzt wurde. Wie es ihm geht, weiß ich nicht.

Das Bündnis »Wald statt Asphalt« hat angekündigt: »Ihr werdet euch an dieser Räumung die Zähne ausbeißen.« Was ist damit gemeint?

Für die Polizei wird es aufwendig. Unterschiedliche Barrikaden versperren die Zufahrt zum Wald, etwa übereinandergestapelte Baumstämme, ausgehobene Gräben oder sogenannte Tripods. Das sind hohe dreibeinige Holzgestelle, von denen Aktivisten zunächst heruntergeholt werden müssen. Zudem ist unser Bündnis groß, wir kooperieren mit Organisationen und Bewegungen wie »Fridays for Future«, »Robin Wood«, Campact, ATTAC, Greenpeace. Wir bekommen Rückhalt aus der ganzen Republik und international. Dennoch haben wir bisher wegen des Gesundheitsschutzes während der Pandemie noch keine Massen mobilisiert. Allerdings scheint die Polizei darauf keine Rücksicht zu nehmen; sie ist mit bis zu 2.000 Beamten vor Ort, was wir unverantwortlich finden.

Sie selber leben im Wald. Wie hat sich Ihr Lebensstil verändert, was wird aus Ihrer Sicht jetzt zerstört?

Unsere Besetzung begann vor einem Jahr auf Einladung der Bürgerinitiative, die sich gewünscht hat, dass Menschen in den Wald ziehen und ihn gegen den Autobahnbau verteidigen. Seit rund 40 Jahren protestieren Anwohner dagegen. Ich lebe im Barrio »Drüben«, das jetzt geräumt werden soll. Dort sprechen wir Deutsch und Englisch, um niemanden auszuschließen. Die Idee ist, ohne Hierarchien zu leben; mit Akzeptanz für Schwächere, die sich weniger durchsetzen können. Wer etwas besser kann, soll nicht mehr Macht haben als andere. Es soll keine Form von Herrschaft in unserer Gruppe entstehen, wir wollen queerfeministisch Diskriminierungen abbauen. Wir sind kapitalismuskritisch, versuchen uns alternativ zu versorgen, holen Essen aus Containern, welches ansonsten weggeworfen worden wäre. Wir erhalten Essensspenden von Bäuerinnen und Bauern aus der Umgebung. Wir versuchen, soviel wie möglich miteinander zu teilen.

Wie sieht Ihre Zukunft aus, wenn der Wald zerstört werden sollte? Wird die Gemeinschaft der Waldbesetzerinnen und Waldbesetzer daran zerbrechen?

Nein. Sie können unsere Baumhäuser zerstören, aber nicht unsere Kraft, die sie schuf, und die Idee, die dahinter steht. Unser Protest wird so nicht gestoppt. Die Autobahn hier ist noch lange nicht gebaut; es gibt auch andere Wälder, die gerettet werden müssen. Manche behaupten, unser Widerstand gegen den Autobahnbau sei nicht demokratisch. Aber was soll daran demokratisch sein, wenn es Gesetze gibt, die den Klimaschutz, der eingehalten werden muss, nicht mal ansatzweise berücksichtigen? Viele junge Menschen sind wütend und enttäuscht, weil auf Politikerinnen und Politiker kein Verlass ist. Nicht mal auf die von Bündnis 90/Die Grünen, die von sich behaupten, eine Umweltpartei zu sein.

aus: Junge Welt, 12.11.20. Das Interview führte Gitta Düperthal