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Leben an der Rodungskante

Trasse im Dannenröder Forst für Ausbau der A 49 beinahe freigeräumt. Umweltbewegung gibt Kampf gegen Autobahnbau nicht auf

Das grelle Licht aus den mobilen Flutlichtanlagen verwandelt den Nebel in eine undurchsichtige Wand zwischen Polizeistützpunkt und dem »Barrio«, wie sie hier das Baumhausdorf nennen. Kerzen und Grablichter wurden auf Baumstümpfen aufgestellt. Viele Teilnehmer des sonntäglichen Waldspaziergangs im Dannenröder Forst sind nach Einbruch der Dunkelheit immer noch an der Rodungskante, sitzen auf Barrikaden, singen, unterhalten sich oder schauen schweigend auf das Szenario. Figuren in schneeweißen Kostümen bewegen sich durch das gerodete Waldstück. Auf einem Banner steht: »Welcher Vertrag ist wichtiger? 1,5 Grad oder A 49? Dannenröder Wald retten!« Seit September 2019 lebten Gegnerinnen und Gegner des Ausbaus der Autobahn 49 durch das Trinkwasserschutzgebiet im mittelhessischen Dannenröder Wald in Baumhäusern. Seit dem 1. Oktober 2020 laufen polizeiliche Räumungs- und Rodungsmaßnahmen.

Im Gegenlicht zeichnet sich ein Baumstumpf ab. Auf ihm sitzt »Mensch Meier«, so nennt man ihn im Wald. »Na ja. Ich bin geräumt worden«, antwortet er gegenüber junge Welt auf die Frage, wie es ihm gehe. »Es geht mir nicht besonders. 67 Tage lang täglich Polizei, Gewalt und fallende Bäume zu sehen – das macht ganz viel mit einem«, so der 26jährige. »Ein Zuhause für viele geschützte Tierarten, ein wunderschöner gesunder Wald und eine gelebte Utopie wurden zerschlagen. Unser Ziel war, die Räumung zu erschweren, um möglichst lange ein Zeichen zu setzen und die mediale Aufmerksamkeit auf die Absurdität zu lenken, dass eine Autobahn in Zeiten der Klimakrise durch ein Trinkwasserschutzgebiet und einen gesunden Wald gebaut wird, während 80 Prozent der deutschen Wälder krank sind.«

Kati, Studentin aus Marburg, gibt sich kämpferisch: »Die A 49 ist noch längst nicht gebaut. Aufgeben ist keine Option!« Die Baumhäuser seien zwar zerstört worden, »aber nicht die Kraft, die sie schuf«, sagt die 24jährige. »Uns werden sie nicht brechen, wir werden gegen diesen irrsinnigen Autobahnbau immer wieder Nadelstiche setzen. Bis auch dem letzten Politiker klar wird, dass wir unsere Lebensgrundlagen nicht durch Profitinteressen zerstören lassen«, sagt sie und streckt die Faust zum Himmel. »Wir sind das Unkraut, das immer wiederkommt!«

Tatsächlich ist die Anmeldung von Mahnwache und Unterstützungscamp am Dannenröder Wald bereits bis März 2021 verlängert. Sonntägliche Waldspaziergänge sind weiter fest geplant. Seit Montag finden vor Ort »Skillshare-Tage« statt, um handwerkliche Fähigkeiten, juristische Grundlagen und Computerwissen zu vermitteln. Bei Kletterworkshops und politischen Diskussionsrunden können sich Interessierte auch ohne aktivistische Erfahrung beteiligen.

Seit die Planungsgesellschaft Deges die erwartbare Zunahme des Verkehrs in Homberg (Ohm) auf 227 Prozent geschätzt hat, gründen sich in angrenzenden Ortschaften neue Bürgerinitiativen. »Es wird immer nur von Verkehrsentlastung gesprochen, dass dafür andere Ortschaften belastet werden, wird schön unter den Teppich gekehrt«, so ein Homberger, der seinen Namen nicht nennen möchte. »Die Gegend wird hier gespalten, der soziale Frieden massiv gestört.«

Am Montag umstellte die Polizei nicht wie bisher üblich erst um acht Uhr das letzte verbliebene Barrio »Oben«, sondern startete bereits um sechs Uhr in der Dunkelheit einen Überraschungsangriff. Dabei wurde mindestens ein Pressevertreter verletzt, mehrere Aktivistinnen und Aktivisten überwältigt und in Gewahrsam genommen.

»Sie reagieren möglicherweise auf das bewegende Wochenende, bei dem die Rodung aufgrund vieler solidarischer Menschen vor Ort stark zurückgefahren werden musste«, sagt die 23jährige Sara, die mit einer Art Schaukel im Baum hängt. Unter den noch verbliebenen Baumhäusern hat sich auch die musikalische Aktionsgruppe »Lebenslaute« eingefunden, die seit 1986 klassische Musik und zivilen Ungehorsam verbindet. Bereits am Donnerstag hatte der Pianist Igor Levit ein Solidaritätskonzert im Dannenröder Wald gegeben (siehe jW vom 5.12.).

Am sonntäglichen Waldspaziergang, an dem Familien, Interessierte und Anwohner teilnahmen, beteiligten sich auch Luisa Neubauer von »Fridays for Future«, der Förster und Autor Peter Wohlleben sowie Antje Grothus, die als Mitglied der Initiative »Buirer für Buir« in der »Kohlekommission« saß, und die Geschäftsführer von Greenpeace und Campact, Martin Kaiser und Christoph Bautz. Am Sonnabend war die Aktionsgruppe »Ende Gelände« durch den Wald zur Rodungskante gezogen. Die Polizei hatte als Antwort auf Schneeballwürfe bei Minusgraden Wasserwerfer eingesetzt.

(aus: Junge Welt, 8.12.20, Autorin: Antonia Greco)