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Hessen: Kultusminister für Unterricht zu Ostern und im Sommer wegen Lernrückstand durch Coronapandemie. GEW dagegen. Ein Gespräch mit Birgit Koch
Die Kultusminister der Länder debattieren derzeit über schulische Feriencamps und -akademien zu Ostern und im Sommer. Hessens Bildungsminister Alexander Lorz, CDU, sagte, so könne der aufgrund von Schulschließungen während der Coronazeit verpasste Lernstoff nachgeholt werden. Warum steht die GEW dem skeptisch gegenüber?
Ob Camps oder Akademien zu Ostern und im Sommer: Wir sind nicht überzeugt, dass das Sinn macht. Zwar hat es in der Coronazeit Probleme gegeben und einiges müsste nachgeholt werden. Aber das nun zum Notstand zu erklären, wie Kultusminister Lorz es tut, finde ich überzogen. Ob es überhaupt Rückstände beim Lernstoff gibt, wäre erst nachzuweisen. Zu prüfen wäre, welche realen Lücken in verschiedenen Klassen tatsächlich entstanden sind. Jetzt die Ferien für Lernangebote öffnen zu wollen, ist aus meiner Sicht unsinnig. Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte brauchen Ferien, um sich zu erholen.
Die GEW bezeichnet es als »Paukschule«, in den Ferien die Kompensation des verpassten Lernstoffes in den Mittelpunkt zu stellen. Wie ist das gemeint?
Nach unserer Einschätzung besteht mit Blick auf die Ferien für Kinder und Jugendliche eher Bedarf an freizeitpädagogischen Angeboten; sich zu treffen, soziales Lernen, Sport machen, kreative Prozesse erleben. Lerncamps können nur freiwillige Angebote sein. Ob daran die Schülerinnen und Schüler teilnehmen, die es tatsächlich benötigen würden, ist zu bezweifeln. Vermutlich würden Eltern ihre Kinder bringen, die sowieso schon beflissen sind, dass ihre Kinder viel lernen. Die anderen würden wir so vermutlich nicht erreichen.
Unter dem Motto »Fit für die nächste Klasse« seien in den Sommerferien 2020 rund 20.000 der rund 760.000 hessischen Schüler über die Ferienakademien gefördert worden. Laut Kultusministerium habe das »in etwa dem Bedarf entsprochen«.
Natürlich haben Eltern, Kinder und Jugendliche Ängste, dass aufgrund der Pandemie Lernstoff verlorengegangen sein könnte. Ihnen geht es um das Erbringen möglichst guter Leistungen. Fragt sich aber: Mit welchem Personal soll das bewältigt werden? Im Sommer 2020 hat man Schulleitungen verpflichtet, das zu organisieren. Sie konnten nicht in die Ferien, mussten teils mit Druck Lehrpersonal auftreiben oder aber Studierende oder pensionierte Lehrer. Das Material mussten Klassenlehrer vorbereiten – nach dem Motto: Du kannst die Schüler nicht hängen lassen und bekommst 26 Euro pro Stunde. Ob das Ergebnis eines solchen Kraftaufwandes qualitativ gut ist? Wir meinen: nein!
Die Organisation liege bei den Schulen, das Ministerium werde Geld zur Verfügung stellen, hieß es dort. Reicht das nicht?
Das war Getöse im Kommunalwahlkampf. Die Landesregierung wollte sich nach außen darstellen: Wir haben das Problem erkannt und steuern gegen. Das ist aber Augenwischerei. Denn ein sinnvolles Konzept fehlt. Die jetzt auftretenden Probleme sind nicht neu. Den Notstand, dass sozial benachteiligte Jugendliche abgehängt werden, gab es schon immer; mag sein, durch die Pandemie noch verschärft. Durch die Aufteilung in verschiedene Schulformen – Hauptschule, Realschule, Gymnasium – gibt es sowieso keine Chancengleichheit. Es ist Zeit, über neue Formen des Lernens und eine andere Form von Schule nachzudenken.
In Hessen soll für Grundschüler ab Mitte April der eingeschränkte Regelbetrieb mit fünf Tagen Unterricht pro Woche gelten. Ab Jahrgangsstufe fünf soll dann Wechselunterricht möglich sein, solange die Inzidenzzahlen unter 100 liegen. Sind Sie in solche Entscheidungen des Kultusministeriums eingebunden?
Uns oder andere Lehrerverbände fragt keiner, wie all das zu bewerkstelligen sein soll. Die Krise zu bewältigen, ist ein großer Kraftaufwand. Zwar stehen 36 Millionen Euro bis Ende des Jahres für die Schulen bereit. Aber wer soll es tun? Es muss genug Räume und zusätzliches Personal geben. Impfdosen und Tests stehen nicht bereit. Es kann nicht sein, dass Lehrer dann etwa Schüler testen sollen. Wir fordern ein Langzeitkonzept, um Schülerinnen und Schülern, die Förderbedarf haben und die wir auch sonst nicht gut erreichen, individuell zu fördern.
(Junge Welt, 15.3.2021. Das Interview führte Gitta Düperthal)