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Verhinderte Ehrung

Seit Jahren kämpfen antifaschistische Gruppen für öffentliche Stele zum Gedenken an kommunistische Widerstandskämpferin Ria Deeg

Mit der Erinnerung ist das so eine Sache. Das wusste auch Ria Deeg. Deshalb engagierte sich die antifaschistische Widerstandskämpferin aus dem hessischen Gießen auch bis ins hohe Alter in der Erinnerungsarbeit, um nachfolgenden Generationen vom Grauen faschistischer Herrschaft und dem mutigen Entgegentreten einiger weniger zu berichten. Als Zeitzeugin trat sie in unzähligen Veranstaltungen an Schulen, bei antifaschistischen Stadtführungen oder dem jährlichen Mahngang zur Pogromnacht der Nazis auf.

Für ihr Lebenswerk und ihr Engagement wurde sie am 18. März 1987 vom damaligen Oberbürgermeister Manfred Mutz (SPD) mit der Goldenen Ehrennadel der Stadt Gießen ausgezeichnet. In seiner Rede hob Mutz »ihren unermüdlichen Einsatz für Menschlichkeit, Anstand und Moral« hervor. Den Glückwünschen schlossen sich die damaligen Fraktionsvorsitzenden von CDU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen an.

Während die Ehrung Ria Deegs in den 1980er Jahren noch auf eine breite politische Akzeptanz stieß, sollte sich dies in den Jahrzehnten nach der sogenannten Wiedervereinigung drastisch verändern. Bei weiteren Kämpfen zur Erinnerung an das Leben und Wirken Ria Deegs stießen antifaschistische Gruppen auf heftigen Widerstand. Dabei forderten sie von der Stadt Gießen lediglich ein, was bereits langjährige Praxis ist. Denn Ehrungen werden seit langem schon Persönlichkeiten des bürgerlich-antifaschistischen Widerstands zuteil.

Seit mehreren Jahren ehrt die Stadt »Gießener Persönlichkeiten« in Form von Stelen mit der Nachbildung ihrer Köpfe in der hiesigen Innenstadt. Auf diese Weise wurden bisher drei Menschen gewürdigt, eine von ihnen ist Agnes von Zahn-Harnack, die sich im antifaschistischen Widerstand in der Bekennenden Kirche engagiert hatte. Eine sichtbare Ehrung von Ria Deeg in Form eines Gedenksteins im öffentlichen Raum beantragte erstmals Michael Beltz für die Stadtfraktion von Die Linke im Februar 2011. Dieser Antrag wurde von der damaligen Magistratskoalition aus CDU, Grüne und Freie Wähler ohne stichhaltige Begründung abgelehnt. Im Jahr 2015 beschloss selbiger Magistrat, dass Ehrungen erst zwanzig statt zehn Jahre nach dem Tod der Person vorgenommen würden.

Im vergangenen August jährte sich Deegs Todestag zum 20. Mal. Das nahm die Gießener Linke im November wiederum erneut zum Anlass, einen Antrag im Magistrat zu stellen – mit der Hoffnung, dass dieser in einer von der SPD dominierten Verwaltungsspitze einen mehrheitlichen Zuspruch finden würde. Doch es kam anders. Während 2010 eine sich in der Opposition befindende Gießener Sozialdemokratie dem Antrag der Fraktion Gießener Linke zustimmte, sprach sich Gießens Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz (SPD) bei der zweiten Gelegenheit für eine Delegation des Antrags an den Gießener Beirat für die Benennung von Straßen und Plätzen aus.

Diesem wurde nur wenige Wochen vor der erneuten Antragstellung der Gießener Linken auch die Kompetenz zur Auswahl und Plazierung der »Gießener Köpfe« übertragen. Im Gespräch mit junge Welt übte Michael Beltz scharfe Kritik am Vorgehen des Magistrats. »Gerade in Zeiten eines gesellschaftlichen Rechtsrucks mit stark zunehmender rassistischer Gewalt wäre eine Ehrung Ria Deegs, die für ihr Wirken ihr Leben und ihre Gesundheit riskiert hat, ein couragiertes Zeichen gewesen«. Zudem könne sie durch ihr Engagement für den Frieden gerade für jüngere Menschen ein Vorbild in einer Zeit von Aufrüstungsbestrebungen nach innen und außen sein, so Beltz weiter.

Ria Deeg wurde 1907 in Dutenhofen bei Gießen geboren. In den 1920er Jahren hatte sie sich zunächst in der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) engagiert. Nach immer häufigerer Unterstützung von Projekten der politischen Rechten – wie der militärischen Aufrüstung und dem Aufruf, Hindenburg zum Reichspräsidenten zu wählen – verließ sie 1932 die SPD und schloss sich der KPD an. Nach der Machtübertragung an die Nazis engagierte sich die Gießenerin trotz wachsenden Terrors in der Illegalität im antifaschistischen Widerstand. Nach ihrer Verhaftung wurde Deeg 1935 zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen sie fünfzehn Monate in Isolationshaft verbringen musste.

Gemeinsam mit anderen Widerstandskämpferinnen und -kämpfern gründete sie nach der Befreiung vom Faschismus die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und baute die KPD in Gießen wieder auf. Bis zum erneuten Verbot der KPD im Jahr 1956 vertrat sie ihre Partei im Gießener Stadtparlament. Nach dem Parteiverbot engagierte sich Deeg ab Ende der 1950er Jahre in der neu entstehenden Friedensbewegung. Dabei wirkte sie an der Planung zahlreicher Aktivitäten wie der Ostermärsche mit. In den letzten Jahrzehnten ihres Lebens rückte für Ria Deeg das Engagement als Zeitzeugin und der Austausch mit jüngeren Generationen in den Fokus ihres Wirkens.

DKP Gießen und VVN-BdA Gießen (Hrsg.): Ria Deeg. Signale aus der Zelle. fünf Euro zzgl. Versand, Bezug: DKP Gießen, Postfach 110340, 35348 Gießen, E-Mail: giessen@dkp.de

(aus : junge Welt, 28.4.21, Autor: Jan Tillmanns)