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Am 14. Juli beginnt der Untersuchungsausschuss zum Attentat in Hanau. Gespräch mit Saadet Sömnez

Zum rassistischen Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020, bei dem neun Menschen sterben mussten, gibt es viele offene Fragen. Warum war die Polizei für Vili Viorel Paun, der den Täter damals mutig verfolgte, nicht über Notruf zu erreichen – mit der Folge, dass Paun erschossen wurde? Wie werten Sie den Beschluss aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD am Mittwoch im Hessischen Landtag, einen Untersuchungsausschuss dazu einzusetzen?

Für die AfD ist das Attentat schon aufgeklärt: als vermeintliche Tat eines psychisch Kranken. SPD, FDP und Linke würden das nun für parteipolitische Zwecke nutzen, wollten unter dem Vorwand der Rassismusbekämpfung »die Polizei im nachhinein in Misskredit bringen«, hieß es. Die Fraktionen der Regierungskoalition, CDU und Bündnis 90/Die Grünen, stimmten zwar zu, aber die CDU-Fraktionsvorsitzende Ines Claus verteidigte ihren Parteikollegen, Innenminister Peter Beuth. Sie wiederholte die bei den Christdemokraten übliche Mär: Angeblich handele es sich lediglich um Verirrungen einzelner, nicht um ein strukturelles Rassismusproblem bei der hessischen Polizei. Man scheint dort entschlossen, dessen Bekämpfung zu verhindern.

Was muss im Ausschuss geklärt werden?

Nachdem seit dem schrecklichen Terroranschlag fast 17 Monate vergangen sind, bleiben das Innenministerium und die Polizei den Familien der Opfer Antworten schuldig. Seit die Polizei ihnen das Handy Vili Viorel Pauns ausgehändigt hatte, insistieren Angehörige, den Missstand zu klären, weshalb dessen Notruf nicht ankam. Als wir mit ihnen gemeinsam die Innenausschusssitzung im Mai 2020 beobachteten, zeigten sie sich enttäuscht, dass der Innenminister viele ihrer Fragen ignorierte. Erst wird verschwiegen, dann vertuscht. Fehler wurden erst eingeräumt, wenn sie durch die Recherchen der Familien ans Tageslicht kamen. Die Antwort, warum der Notausgang in der Arena-Bar verschlossen war, steht noch aus. Geschah dies etwa aufgrund einer Anordnung der Polizei?

Wieso konnte der Täter Tobias Rathjen überhaupt Waffen besitzen, obwohl er den Behörden schon aufgefallen war?

Es ist bekannt, dass der Täter kurz vor seinem Attentat rassistische Botschaften im Internet veröffentlicht hat. Fragt sich: Hätten Morde verhindert werden können, wenn die Polizei und die Ermittlungsbehörden in der Tatnacht und zuvor besser gearbeitet hätten? Wieso traf das SEK am 19. Februar 2020 gegen 23 Uhr vor dem Täterhaus ein, drang aber erst vier Stunden später ein? Möglicherweise hätte man sonst die Selbsttötung des Täters und den Mord an seiner Mutter verhindern können. Man hätte ihn zur Verantwortung ziehen können.

Geht es dabei auch um das Thema extrem rechter Netzwerke bei der Polizei?

13 der am 19. Februar in Hanau eingesetzten Frankfurter SEK-Beamten waren an rechtsextremen Chats beteiligt. Möglicherweise könnten sie sich in der Tatnacht nicht korrekt verhalten haben. Dem muss nachgegangen werden. Bezeichnend ist, dass man auf diese rechte Netzgruppe innerhalb des SEK nur zufällig aufmerksam wurde, weil gegen einen Polizeibeamten, der unter Verdacht stand, pornographische Kinderbilder zu teilen, ermittelt wurde. Wie bei anderen Polizeiskandalen erfuhren die Öffentlichkeit und das Parlament nur, was nicht mehr zu verheimlichen ist. Der Innenminister berichtete nur häppchenweise.

Wird es im sich am 14. Juli konstituierenden Ausschuss um die Frage gehen: Wer kontrolliert eigentlich die Polizei?

Für Betroffene von Rassismus muss eine unabhängige Beschwerdestelle eingerichtet werden. Nicht hinnehmbar ist, dass ihre Anzeigen bei der Polizei in nahezu allen Fällen fallengelassen werden. Unsere Kritik gilt den unzulänglichen Maßnahmen des Innenministers, dem die Kontrolle der Polizei unterstellt ist. Aus der Erfahrung mit dem NSU-Ausschuss wissen wir, dass die Landesregierung durch ihre Verfahrensmehrheit in solchen Ausschüssen soviel wie möglich blockiert. Wir erwarten jetzt eine lückenlose Aufklärung.

(aus Junge Welt, 9.7.21. Das Interview führte Gitta Düperthal)