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Hessen mästet Banken

Landesregierung wollte Niedrigzinsen sichern und verliert mit Spekulationen Milliarden

Die Idee war schon 2011 nicht ganz neu: Wenn Politiker mit Steuergeldern Finanzwetten abschließen, geht das nicht selten schief. Seit unter der Schröder-Fischer-Regierung aus SPD und Grünen (1998 bis 2005) auch obskure Finanzdeals in Deutschland zugelassen wurden, hat sich das mehrfach gezeigt. Wenn es ausgerechnet die Landesregierung Hessen ist, die sich mit Spekulationen (zugunsten der Banken) verzockt, hat das allerdings ein besonderes Geschmäckle. Ist doch das Bundesland mit seiner Metropole Frankfurt am Main wichtigster deutscher Finanz- und Bankenstandort – was eine besondere Nähe zwischen Bankern und Politik nahelegt. Ob die Politik dabei gut beraten wurde und wird, ist allerdings zweifelhaft.

Wie mehrere Medien am Donnerstag und Freitag berichtet hatten, war das Kabinett unter Volker Bouffier (CDU) bereits 2011 auf die bemerkenswerte Geschäftsidee verfallen, eine Wette auf die künftige Zinsentwicklung einzugehen. Mit diesem Deal sollte – so die verbreitete Legende – eine planbare Grundlage für den Schuldendienst des Landes geleistet werden. Deshalb vereinbarte Hessen mit einer Reihe von Finanzinstituten insgesamt 65 Finanzwetten – genannt Forward Payer Swaps (FPS) –, wie das Magazin The European (TE) berichtete. Das Gesamtvolumen des Geschäfts soll sich dabei auf 6,5 Milliarden Euro belaufen haben. Der Hammer dabei ist die Laufzeit: Die soll sich laut TE über 40, laut Focus online vom Freitag sogar auf 50 Jahre erstrecken.

Hessens damaliger Finanzminister Thomas Schäfer (er beging im vergangenen Jahr nach offiziellen Angaben Suizid) hatte damals die tolle Idee, den nach seiner Meinung »historisch niedrigen Zinssatz« von 3,7 Prozent als Obergrenze für den Schuldendienst des Landes mit Hilfe der Wetten festzuklopfen. Was in sein Kalkül für die kommenden 40 oder gar 50 Jahre nicht einging, war die Tatsache, dass sich 2011 bereits zahlreiche Staaten des Westens hoffnungslos überschuldet hatten. Im Juli 2012, rund ein Jahr nach Schäfers Geistesblitz, erklärte Mario Draghi im Namen der Europäischen Zentralbank (EZB), dass diese alles unternehmen werde, um die überschuldeten Staaten vor der Pleite zu bewahren – »whatever it takes« (was immer es kostet). Seitdem sanken die Zinsen, und der maßgebliche EZB-Leitzins wird bis heute bei Null gehalten.

Hessens Steuerbürger kostet die Geschichte nach derzeitigen Angaben bis zu vier Milliarden Euro – was den unter Draghis Zinsdiktat ebenfalls leidenden Banken ein willkommenes Zubrot sein dürfte. Bei den FPS-Geschäften soll es den Medienangaben zufolge keine Ausstiegsklausel geben. Bleibt für Hessens Bürger nur zu hoffen, dass die Zinsen doch noch irgendwann steigen. Danach allerdings sieht es auf absehbare Zeit nicht aus. Denn trotz aller Finanzakrobatik und Gelddruckerei der EZB hat sich die Schuldenlast der meisten Staaten – auch Deutschlands – in Folge der drastischen Maßnahmen im Rahmen der Coronakrise weiter erhöht. Ein Leitzinssatz von einst »historisch niedrigen« 3,7 Prozent würde vermutlich den Staatsbankrott und das Ende der Eigenstaatlichkeit zahlreicher EU-Länder bedeuten – inklusive aller dramatischen Auswirkungen auf große Teile der Bevölkerung.

(aus: Junge Welt, 6.11.21. Autor: Dieter Schubert)