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Aufklärung von Behördenversagen bei Anschlag von Hanau steht weiterhin aus. Ein Gespräch mit Newroz Duman

Gemeinsam mit den Angehörigen der neun Opfer, die bei den Anschlägen vom 19. Februar 2020 in Hanau ermordet wurden, kämpfen Sie um Aufklärung. An jedem 19. Tag eines Monats erinnert die »Initiative 19. Februar« daran. Mit welchem Ziel?

Auch 20 Monate nach dem rassistischen Terroranschlag sind die zentralen Fragen der Angehörigen zur Tatnacht, was davor und danach geschah, ungeklärt. Wie konnte es überhaupt passieren, warum wurde es nicht verhindert? Warum verlängerte die Behörde den Waffenschein des Täters, obgleich er zuvor auffällig geworden war. Weshalb hatten Staatsanwaltschaft und Bundesanwaltschaft seine Drohbriefe mit rassistischen und rechtsextremistischen Inhalten nicht ernstgenommen? Warum hatte die Polizei in der Mordnacht die Notrufe von Vili-Viorel Paun nicht entgegengenommen, der den Täter vom ersten Tatort bis nach Hanau-Kesselstadt verfolgte, bevor er dort erschossen wurde? Warum war der Notausgang des Kiosks, des zweiten Tatorts, verschlossen, damit der Fluchtweg versperrt, und wer wusste davon? Es geht um Obduktionen, die rechtswidrig, ohne Erlaubnis von Angehörigen, eingeleitet wurden; um den Umgang der Behörden mit den Familien der Opfer; um deren verspätetes Handeln während der Tatnacht und danach. Warum dauerte es Stunden, bis das Sondereinsatzkommando das Wohnhaus des Täters stürmte? Wir wissen bis heute nicht, wer die Verantwortung für das Geschehene trägt.

Der Täter hat sich selber und seine Mutter im Anschluss an die Tat umgebracht. Welche Rolle spielte dessen Vater?

Im Dezember 2020 wurde bekannt, dass der Vater in den Monaten nach dem Anschlag seines Sohnes Eingaben bei Gericht, Staatsanwaltschaft und Polizei gemacht hatte. Unter anderem habe er die Waffen seines Sohnes zurückverlangt und gefordert, dass die Webseite mit dessen rassistischen Vernichtungsphantasien wieder online gestellt wird. Im Februar 2021 hatten Anwältinnen und Anwälte der Angehörigen der Opfer beim Generalbundesanwalt eine gemeinsame Strafanzeige gegen den Vater des Mörders erstattet, insbesondere wegen Beihilfe zum mehrfachen Mord. Entgegen seinen Aussagen, dass er am Tatabend geschlafen und von allem nichts mitbekommen habe, wurde er unmittelbar nach der Tat von zwei Nachbarn am Auto seines Sohnes gesehen. Dennoch entließen ihn die Ermittlungsbehörden bereits wenige Stunden nach der Tat aus dem Beschuldigtenstatus und erklärten ihn zum Zeugen. Das Hanauer Amtsgericht verurteilte ihn am 6. Oktober wegen Beleidigung der Opfer. Die rechtsextreme und rassistische Grundhaltung des Angeklagten wurde zweifelsfrei festgestellt. Fragt sich: Welche Gefahr geht von ihm weiterhin aus? Seine Rolle vor und in der Tatnacht ist zu ermitteln.

Ein Untersuchungsausschuss zum Anschlag nimmt im Hessischen Landtag seine Arbeit am 3. Dezember auf. Für die Zeugenvernehmungen wurde festgelegt, dass die Angehörigen zuerst gehört werden.

Die hessische Regierungskoalition von CDU und Bündnis 90/Die Grünen hat dies nicht mehr blockieren können, weil die Angehörigen mit Druck verdeutlicht haben, wie wichtig es ist, die Betroffenen zuerst zu hören. Es darf kein Vergessen geben. Wir werden weiter regelmäßig zusammenkommen, damit dieses rechtsextremistische Verbrechen sichtbar bleibt. Ihre Kinder wurden nicht beschützt. Der Terroranschlag hat das Leben vieler Menschen zerstört.

Wie steht es um deren finanzielle Unterstützung?

Wir wollten einen Fonds für Opfer rechter Gewalttaten, die Landesregierung aber beschloss Anfang 2021 einen für Opfer allgemeiner Kriminalität. Dieser wird der Zäsur des Anschlags in Hanau und dem Leid vieler weiterer Opfer rechter Gewalt in Hessen nicht gerecht. Bis heute ist kein Geld geflossen. Es kann nicht sein, dass diese traumatisierten Menschen obendrein noch auf Sozialhilfe angewiesen sind. Die Landesregierung zeigt auch so, dass sie die politische Dimension des rechtsterroristischen Anschlags und die Bedrohungslage durch rechte Gewalt verkennt.

(aus: Junge Welt, 21.10.21. Das Interview führte Gitta Düperthal)