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Mitten in angespannter Coronalage demonstrieren »Querdenker«. Gegenprotest in Frankfurt am Main. Ein Gespräch mit Nadine Schneider

Viel wurde zuletzt über die sogenannte Querdenkerszene in Sachsen gesprochen. Doch Protest gegen die Coronamaßnahmen gibt es vielerorts. An diesem Sonnabend will das Spektrum von Verschwörungsgläubigen und Coronaimpfgegnern bis hin zu Neonazis in Frankfurt am Main auf die Straße gehen. Wie ist die Szene dort aufgestellt?

Mit den sogenannten Querdenkern marschierten in Frankfurt wiederholt Menschen auf, die man als Nazis bezeichnen könnte: etwa Personen vom »III. Weg«, von schlagenden Burschenschaften, den sogenannten Identitären bis hin zu autonomen Nationalen, aber auch AfD-Vertretern. Das Gros der Menschen, die da auf die Straße gehen, kommt aber aus der Mitte der Gesellschaft, weder aus prekären Milieus noch aus anderen vermeintlichen Problemgruppen. Es beteiligen sich auch regierungstreue Spießer, die ihre Pfründe sichern wollen, ihre Vorgärten, ihre »Freiheit«, etc.

Sie kritisieren die »egoistischen Positionen« der sogenannten Querdenker. Vertreten diese Leute vielleicht einfach nur eine strengere Lesart von Konkurrenz und Individualismus, die in unserer Gesellschaft allgegenwärtig ist?

Man hat diesen Menschen kapitalistische Marktwirtschaft gepredigt und gesagt, dass diese angeblich große Freiheiten für alle mit sich bringt. Trotz des Ausbruchs der Pandemie, die weltweit solidarisch gelöst werden müsste, beharren sie nun auf ihrem persönlichen Recht. Hier hat sich die brav angepasste »bürgerliche Mitte« zu Gegnern der Regierung entwickelt.

In den vergangenen Wochen gab es mehrere dieser Aufmärsche in der Frankfurter Innenstadt, bei denen es auch zu Gewalt kam. Wie hat die Polizei bislang darauf reagiert?

Der Polizei fällt es sichtbar schwer, sich der radikalisierten Menge entgegenzustellen, aus deren Reihen gepöbelt, geschubst und mit Regenschirmen geschlagen wird. Teilweise tummeln sich dort auch rechte Schlägertrupps, die Antifaschistinnen und Pressefotografen angreifen. Dennoch lässt man diese Leute ohne Masken durch die Straßen laufen und antisemitische Parolen brüllen. Selbst wenn Polizeikräfte danebenstehen, greifen sie nicht oder nur zögerlich ein. Statt dessen nehmen sie meist junge Gegendemonstranten fest, die häufig im nachhinein kriminalisiert werden.

Das Regierungshandeln in der Pandemie war teilweise chaotisch. Bestärkt das diese Szene?

Allerdings. Bereits vor einem Jahr war abzusehen, dass es jetzt wieder zu schweren Coronaausbrüchen kommen könnte. Im Wahlkampf wollte die Bundesregierung aber keine unpopulären Entscheidungen fällen, lavierte hin und her. Impfzentren wurden geschlossen, um sie später wieder zu öffnen. Als hätte man über all das nicht Bescheid wissen können. Ständig sich widersprechende Maßnahmen treiben die Unsicherheit an, die manche zu Anhängern von Verschwörungsideologien werden lässt.

Zur aktuell schwierigen Lage haben auch Politiker wie Karl Lauterbach, SPD, beigetragen. Der neue Gesundheitsminister war enger Berater der früheren Ressortchefin Ulla Schmidt (von 2001–2009 im Amt, jW) und warb für das System der sogenannten Fallpauschalen. Ziel war es damals, die Verweildauer von Patienten im Krankenhaus zu verkürzen und das System zu ökonomisieren. Jetzt haben wir das Problem: Kliniken mussten Stationen schließen, weil sie sich rechnerisch nicht mehr lohnen.

Sie sind Intensivkrankenschwester. Für wie bedrohlich halten Sie die Coronalage derzeit?

Die Situation ist schon jetzt katastrophaler als letztes Jahr nach Weihnachten. Weil notwendige Maßnahmen für den Winter nicht getroffen wurden, befindet sich das Gesundheitssystem am Rande des Kollaps. Die Kliniken sind aktuell hoffnungslos überfordert, so dass Personen ins Ausland gebracht werden müssen. Wer einen Schlaganfall oder einen Unfall hat, wird ein Problem haben.

Was ist Ihr Ziel?

Wir müssen Schwächere schützen, und Impfpatente müssen endlich freigegeben werden. Beim Pflegepersonal darf nicht weiter ausgedünnt werden. Es muss Schluss sein mit der kapitalistischen Politik, die auf Gewinnerzielen im Gesundheitswesen setzt, Reiche profitieren lässt und Arme zu Verlierern abstempelt.

(aus Junge Welt, 11.12.21. Das Interview führte Gitta Düperthal)