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Hessen: Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen wegen Serie von Brandanschlägen gegen Linke heimlich ein. Ein Gespräch mit Tom Schmitz
Die Serie von zwölf Brandanschlägen auf linke und feministische Wohnprojekte im Rhein-Main-Gebiet zwischen September 2018 und Juli 2019 wird juristisch nicht weiter verfolgt. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft stellte weitere Ermittlungen gegen den verurteilten Brandstifter Joachim S. ein. Wie kam es dazu?
Joachim S. wurde nach einem Prozess zwischen November 2020 und Januar 2021 wegen insgesamt 16 schweren Brandstiftungen rechtskräftig zur Haftstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt – darunter jedoch nur zwei, die sich gegen linke Wohn- und Kulturprojekte richteten. Diese gegen das »Lila Luftschloss« in Frankfurt am Main und das autonome Kulturzentrum Metzgerstraße Hanau verübten Anschläge waren Teil des Verfahrens, weil er dort auf frischer Tat ertappt wurde. Bei 14 weiteren teils schweren Brandstiftungen, die er zwischen Juli und Dezember 2019 beging, war kein rechter politischer Tathintergrund zu erkennen. Ermittlungen wegen zehn weiteren gegen linke Projekte gerichteten Brandanschlägen stellte die Staatsanwaltschaft im April klammheimlich ein. Wovon wir Betroffene und die daran interessierte Öffentlichkeit erst jetzt, Monate später, durch Berichte der lokalen Presse erfuhren. All dies passt leider ins Bild, das wir uns von der Arbeit der Polizei- und Justizbehörden hinsichtlich des Umgangs mit der Anschlagsserie machen mussten: Sie sind auf dem rechten Auge blind.
Weshalb besteht aus Ihrer Sicht der Verdacht, dass sich Joachim S. auch für Brandanschläge auf linke Zentren, wie etwa das Frankfurter »Café Exzess« in Bockenheim oder die alternativen Wohnprojekte »Au« und »Assenland« in Rödelheim verantworten müsste?
Zum Hintergrund des Täters ist bekannt, dass Joachim S. seit 2015 versuchte, linke Projekte bewusst zu schädigen, die später von Brandanschlägen betroffen waren. Er suchte beispielsweise in deren öffentlich einsehbaren Bilanzen nach Formfehlern, um sie bei der Bafin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, jW) zu denunzieren. Er wurde viel zu spät, im Dezember 2019, verhaftet. Zuvor war er achtmal festgenommen und siebenmal wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Danach endete die Anschlagsserie auf linke Projekte.
Welche Hinweise auf das politische Motiv von S. gibt es?
Allein dessen Wahl der Anschlagsziele weist auf ein rechtes Weltbild hin. Dass rechte Gewalttäter nicht immer ein Manifest schreiben müssen, um ihre Ideologie zu vermitteln, sollte hinlänglich bekannt sein. Bei Joachim S. sprechen weitere Indizien dafür, dass er sich gezielt gegen links wendete: Chatprotokolle auf seinem Mobiltelefon, in denen er sich abfällig gegen Linke und deren Wohnprojekte äußerte, sowie homofeindliches und antifemistisches Bildmaterial. Er unterstützte die AfD zweimal mit Spenden: im August 2019, knapp einen Monat vor dem ersten Brandanschlag, mit 1.700 Euro an die damals im Landtagswahlkampf befindliche hessische AfD.
Sie konstatieren, sich nicht auf die Justiz verlassen können – welche Folgen hat das?
Praktisch hat diese Untätigkeit der Behörden beispielsweise die Folge, dass keiner dieser rechtsmotivierten Anschläge sich in einer offiziellen Statistik wiederfindet. Da auch schon die ermittelnden Polizisten sich bemüht haben zu entpolitisieren, ist unser sowieso schon eher geringes Vertrauen in Hessens Polizei- und Justizbehörden noch weiter gesunken. In Hessen, insbesondere in Frankfurt, gab es zudem eine regelrechte Hetzkampagne der politischen Parteien FDP, CDU und AfD, die linke Projekte beenden wollten. Ebenso tragen Polizei und Justiz am Rechtsterror Mitverantwortung, zumal sie gerade in Hessen auch gegenüber rechten Netzwerken in den eigenen Reihen weitgehend untätig bleiben. Täter wie Joachim S. fühlen sich in diesem gesellschaftlichen Klima bestätigt, im Sinn einer vermeintlichen »Mitte« zu handeln. Wichtig ist und bleibt organisierter antifaschistischer Selbstschutz; eigene Recherchen zu Nazistrukturen; und dass wir uns der extremen Rechten auf den Straßen, in den Behörden und Parlamenten entgegenstellen.
(aus: Junge Welt, 15.12.21. Das Interview führte Gitta Düperthal)