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Spinne im Netz

Hessen: Untersuchungsausschuss sucht nach Verbindungen zwischen NSU-Umfeld und Helfern von Lübcke-Mörder. BKA sieht keine Anhaltspunkte

Auch zweieinhalb Jahre nach dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke versucht ein Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags, Hintergründe der Tat auszuleuchten. Im Fokus: die Rolle der Sicherheitsbehörden, aber auch die Verstrickung von Stephan Ernst in die nordhessische Neonaziszene. Ernst war im Januar für den Mord an Lübcke zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Am Donnerstag versammelte sich der Ausschuss zur 21. Sitzung in Wiesbaden. Dabei ging es auch um die Rolle von Ernsts Freund Markus H., der ihm den Kontakt zum Waffenhändler vermittelte, von dem Ernst die Tatwaffe bekam.

»Wir versuchen momentan, Verbindungslinien zwischen dem Unterstützerumfeld des NSU in Kassel und dem Umfeld von H. und Ernst nachzugehen«, erklärte Hermann Schaus, Obmann der Fraktion Die Linke im Ausschuss, am Donnerstag gegenüber jW. Bei diesem Umfeld und den früheren Helfern des rechtsterroristischen »Nationalsozialistischen Untergrund« handele es sich »im wesentlichen um denselben Personenkreis«.

Der BKA-Beamte, der am Donnerstag im Ausschuss aussagte, sah es etwas anders. Er behaupte, es habe keine Verbindung zwischen den Tätern im Mordfall Lübcke und dem NSU gegeben. »Die Ermordungen des NSU waren nicht die Blaupause für den Mord von Walter Lübcke«, sagte der Zeuge laut der Nachrichtenagentur dpa. Der Beamte war sowohl im Verfahren gegen die faschistische Terrorzelle als auch bei den Ermittlungen um den Mordfall Lübcke beteiligt. Zwei weitere Zeugen, die am Donnerstag ebenfalls im Ausschuss befragt werden sollten, erschienen nicht zu ihren Terminen. Am 13. Januar 2022 sollen die öffentlichen Befragungen fortgesetzt werden.

Bereits am Mittwoch war mit dem Kasseler Neonazi Mike Sawallich ein Freund von Ernst vernommen worden. Wie der Spiegel im Juni 2019, nach dem Lübcke-Mord, berichtet hatte, gilt Sawallich als Führungsfigur in der Kasseler Neonaziszene und Ziehsohn des stellvertretenden NPD-Vorsitzenden Thorsten Heise. Kurz nach der Festnahme von Ernst schrieb er bei Facebook: »Ich stehe in Guten wie in Schlechten Zeiten zum Kamerad E.!!! [sic!]« Sawallich habe bei seiner Vernehmung eher ­gemauert, berichtete Schaus gegenüber jW. Dennoch habe die Befragung »spannende Erkenntnisse« erbracht.

So habe der Zeuge eingeräumt, dass er mit Benjamin Gärtner, ehemaliger V-Mann des Verfassungsschutzes, ausführlich über den NSU-Mord an Halit Yozgat in einem Kasseler Internetcafé im April 2006 gesprochen habe. Weiter habe Sawallich seine Beteiligung bei einem bis heute nicht aufgeklärten Angriff auf ein »Zeckenwohnheim« 2003 zugegeben. Nach »langem Hin und Her« habe Sawallich auch eingeräumt, dass er auf einem ihm vorgehaltenen Foto von einer Sonnenwendfeier im Sommer 2011 auf dem Gehöft von Heise im nordthüringischen Fretterode hinter Ernst zu erkennen ist. »Ich betrachte Sawallich als einen sehr engen Kumpel von Thorsten Heise«, sagte Schaus. Der NPD-Vize wiederum spiele in der gesamten Region eine herausragende Rolle, er koordiniere die Verbindungen »zwischen Nordhessen, der Dortmunder Szene, der Thüringer Szene«, sei so etwas wie »die Spinne im Netz«. »Heise ist meiner Ansicht nach der momentan gefährlichste Nazi in Deutschland«, sagte Schaus.

(aus: Junge Welt, 17.12.21. Autor: Kristian Stemmler)