Hier informieren wir regelmäßig über Aktivitäten der Kreise und des Bezirks.
Hessische Landesregierung investiert lieber in PCR-Tests für Abschiebungen als für Kitas. Ein Gespräch mit Saadet Sönmez
Sie kritisieren, dass PCR-Tests für Kitas in Hessen rar sind, während das Land für Abschiebungen aber sehr wohl solche Tests besorgen kann. Wie schätzen Sie die Situation von Geflüchteten ein, denen die Abschiebung während der Coronazeit droht?
Das Sozialministerium teilte am vergangenen Donnerstag im Sozialausschuss mit, dass flächendeckende PCR-Lolli-Test-Angebote in Kitas auch an fehlenden Kapazitäten scheitern würden. Der Ausbau von solchen Tests scheint aber möglich, wenn es um mehr Abschiebungen geht. Das zeugt von der verfehlten Migrations- und Gesundheitspolitik der hessischen Landesregierung von CDU und Bündnis 90/Die Grünen; zeigt, welche Prioritäten sie setzt. Sie organisiert Tests, um Menschen schneller abschieben zu können, interessiert sich jedoch nicht dafür, deren Bleiberecht zu organisieren, sie hier gut ankommen und leben zu lassen. Alle Energien und viel Geld fließen in inhumane Abschiebepläne. Dabei wäre hierbei Geld im Landeshaushalt einzusparen: 2021 wurden insgesamt 6,3 Millionen Euro für den Abschiebeknast investiert. Mit diesem Geld hätte man Ausbildungs- und Integrationskurse auf den Weg bringen können. Es kommt auf die Perspektive an: Will man auf Teufel komm raus abschieben, oder will man integrativ wirken?
In Frage steht, ob alle Inhaftierungen im hessischen Abschiebeknast rechtmäßig sind. Können Sie das an Beispielen verdeutlichen?
In der Zeit von März 2018 bis Juni 2019 wurden 297 Personen dort inhaftiert. Zum Beispiel wurde die 60 Jahre alte Kurdin Afitap D., die seit 35 Jahren in Deutschland gelebt hatte und Mutter eines geistig behinderten und betreuungsbedürftigen Sohnes ist, dort inhaftiert und im März in die Türkei abgeschoben. Gemeinsam mit ihr wurde auch Mutlu B., ein in Wiesbaden geborener 31jähriger, ausgeflogen, der in Deutschland gelebt und gearbeitet hat und gar kein Türkisch spricht. Im Juni 2021 war eine ganze Familie im Darmstädter Abschiebegefängnis inhaftiert worden und sollte abgeschoben werden. Die Initiative »Community for all« schaffte es, das zu verhindern.
Vergangenen Donnerstag behauptete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, hessische Behörden hätten 2021 »deutlich mehr Kriminelle abgeschoben als im Jahr 2020«. Wie Innenminister Peter Beuth, CDU, dem Blatt mitgeteilt habe, sei die Zahl um ungefähr ein Fünftel auf 340 Personen gestiegen. Alles Straftäter?
Beuth suggerierte offenbar wieder, dass es 340 Verbrecher waren, die abgeschoben wurden – oft fügt er beschwichtigend das Wörtchen »überwiegend« bei. Dieselben Töne schlagen auch die Verantwortlichen der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen für den integrations- und flüchtlingspolitischen Bereich an. Entweder, um so den Koalitionsfrieden mit der CDU zu wahren, oder aber möglicherweise auch, um grüne Politik neu auszurichten.
Was ist gemeint, wenn es heißt, abgeschoben würden Kriminelle?
Der Begriff ist sehr missverständlich: Mitunter geht es um eine Person, die dreimal ohne Ticket in der S-Bahn erwischt wurde; oder aber um ähnliche Kleindelikte, die, möglicherweise aus der Not geboren, in einer solchen Zwangslage begangen wurden. All das wird als kriminell ausgelegt und als Abschiebegrund vorgebracht. Wir sagen: Jeder, der sich hier was zu Schulden hat kommen lassen, soll sich auch hier verantworten können und müssen. Grundsätzlich sind sowieso nicht alle Inhaftierungen im Abschiebeknast tatsächlich rechtmäßig. Nach unserer Großen Anfrage dazu war klar: Jede 13. Person war dort zu Unrecht inhaftiert. Die Dunkelziffer ist mit Sicherheit höher. Nicht jeder dort hat einen guten Rechtsbeistand, der vor Gericht das Recht für seine Mandanten erstreiten kann und sich im Fachgebiet auskennt. Auch aus diesem Grund lehnt Die Linke das System Abschiebehaft und die Abschiebung prinzipiell ab.
(aus: Junge Welt, 31.1.22. Das Interview führte Gitta Düperthal)