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»Schwere Verwerfungen«: Wachsende Zweifel an Umsetzbarkeit von einrichtungsbezogener Impfpflicht in Pflege- und Gesundheitsbereich
Für die Allgemeinheit ist sie vorerst nicht in Sicht, für Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen dagegen schon beschlossen: die Impfpflicht. Bis zum 15. März sollen alle Angestellten von Kliniken und Pflegeheimen einen Nachweis über eine vollständige Covid-19-Impfung, einen Genesenennachweis oder ein Attest vorlegen, dass sie nicht geimpft werden können. Doch inzwischen nimmt die Kritik an dieser Maßnahme zu. Vor einem Personalmangel wegen vermehrter Kündigungen Ungeimpfter war etwa von gewerkschaftlicher Seite bereits gewarnt worden; jetzt mehren sich Zweifel an der schnellen Umsetzbarkeit der Regelung.
»Die Impfpflicht für medizinisch-pflegerische Berufe darf nicht mit der Brechstange eingeführt werden«, sagte am Dienstag der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch,gegenüber dpa. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) müsse die Sorgen vor Ort ernst nehmen. Gesundheitsämter und Ordnungsbehörden sähen sich nicht in der Lage, »das Mammutwerk bis zum 15. März ohne schwere Verwerfungen durchzusetzen«, sagte Brysch. Lauterbach müsse wissen, dass die Versorgung von bis zu 200.000 Pflegebedürftigen und Kranken in Gefahr sei. Ein Aufschub sei »dringend geboten«.
Insbesondere die Gesundheitsämter sehen sich mit der Kontrolle überfordert. Man rechne damit, dass im Schnitt bei fünf bis zehn Prozent der Mitarbeiter kein eindeutiger Nachweis oder kein vollständiger Impfschutz vorliege und eine Meldung an das Gesundheitsamt erfolge, sagte Elke Bruns-Philipps, die stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), der Rheinischen Post (Dienstag). Das sei »eine erhebliche Belastung mit der Prüfung jedes Einzelfalls«. Das könne von den Gesundheitsämtern nicht zeitnah bewältigt werden.
Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, erklärte am Dienstag gegenüber jW, ihre Fraktion habe die einrichtungsbezogene Impfpflicht von Anfang an kritisch gesehen. Nun erweise sich, dass der Gesetzgeber offenbar nicht bedacht habe, »wie die in der Pandemie ohnehin überlasteten Gesundheitsämter die zusätzliche Überwachung dieser Pflicht noch stemmen können«, so Vogler. Hier räche sich »das Blitzverfahren, in dem die Koalition diesen Gesetzentwurf im Dezember durchs Parlament gepeitscht hat«. Es sei für sie allerdings »schwer verständlich, dass Menschen, die beruflich eng mit besonders gefährdeten Personengruppen zusammenarbeiten und deswegen schon 2021 bei den Impfungen priorisiert waren, sich bis heute nicht haben impfen lassen«.
Der Deutsche Pflegerat sprach sich für eine pragmatische Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht aus und übte Kritik am Vorhaben. Pflegeratspräsidentin Christine Vogler plädierte für eine Risikoabwägung durch das jeweilige Gesundheitsamt. »Es bleibt ja gar nichts anderes übrig. Es kann ja nicht ein Gesundheitsamt sagen, wir ziehen die Leute ab. Was machen wir dann mit den Pflegebedürftigen?« sagte sie der dpa. Laut Infektionsschutzgesetz können die Gesundheitsämter ab dem 16. März nach einer gewissen Frist ein Tätigkeits- oder Betretungsverbot für Beschäftigte von Kliniken oder Pflegeeinrichtungen aussprechen, wenn diese keinen der geforderten Nachweise vorlegen.
Der Pflegerat hatte kürzlich bereits gewarnt, dass wegen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht Personalprobleme auf die Branche zukommen. Tatsächlich hat die Zahl der Kündigungen in dem Bereich zugenommen. In der BRD haben sich derzeit ungefähr 12.000 Pflegekräfte mehr als üblich arbeitssuchend gemeldet. Insgesamt seien es im Januar im Gesundheits- und Sozialbereich 25.000 Arbeitssuchende mehr als üblich gewesen, sagte Daniel Terzenbach, Vorstandsmitglied der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit (BA), am Dienstag bei der Vorlage des Arbeitsmarktberichts für Januar. Dies betreffe damit ungefähr ein Prozent der Beschäftigten der Branche.
(aus: Junge Welt, 2.2.22. Autor: Kristian Stemmler)