Hier informieren wir regelmäßig über Aktivitäten der Kreise und des Bezirks.
Hessen: Gegner von Autobahnausbau verweisen auf mit Hexyl belasteten Boden. Ein Gespräch mit Hans Christoph Stoodt.
Am Sonnabend gab es anlässlich des Landesparteitags der in Hessen mitregierenden Partei Bündnis 90/Die Grünen Proteste gegen den Autobahnausbau. Vor allem die Pläne zur A 49 nahe Stadtallendorf sorgen für Unmut. Unter dem Gebiet, in dem der Bau stattfindet, lagern hochgiftige Altlasten. Seit wann gibt es den Giftmüll dort?
In der Nazizeit war im Herrenwald, direkt neben dem Dannenröder Wald, eine der größten Produktionsstätten Europas für Sprengstoffe. Laut Recherchen der Initiative »AG Danni« kontaminierten die Westfälisch-Anhaltischen Sprengstoff-Actien-Gesellschaft und die Dynamit Nobel AG während des Zweiten Weltkriegs die dortigen Böden. Die deutsche Rüstungsindustrie stellte das hochtoxische, explosive Trinitrotoluol her – besser bekannt als TNT. Nach Kriegsende wurden die Anlagen zerstört. Die Gelände beider Werke sind seither belastet.
Nun musste das Regierungspräsidium Gießen in einer Erklärung vom 20. Mai eingestehen, dass laut Laborergebnissen gelbe Klümpchen im Boden gefunden wurden, die eine hohe Hexylbelastung aufweisen. Bekannt ist all das allerdings bereits seit 2006. Das Erdmaterial erfordere »eine Kontrollanalytik«, stellte damals die Baustoff- und Bodenprüfstelle Wetzlar fest. Und 2008 hieß es, eine Beeinträchtigung des Wasserwerks Stadtallendorf könne langfristig nicht ausgeschlossen werden. Trinkwasservorräte für eine halbe Million Menschen in Mittelhessen und im Rhein-Main-Gebiet seien gefährdet, unter anderem auch für Frankfurt am Main, wurde damals gewarnt. Um so unverständlicher ist es, weshalb der Autobahnbau trotzdem genehmigt worden ist.
Wurde durch den Giftmüll schon jemand geschädigt?
Im Zweiten Weltkrieg schufteten bei Stadtallendorf mehr als 15.000 Zwangsarbeiter, die von der SS bewacht in Barackenlagern hausten. Die Gifte aus den Sprengstoffen, die in besagten Rüstungsfabriken in Munitionshülsen verfüllt wurden, verfärbten ihnen einst Haare, Hände und Arme, berichtete eine Lokalzeitung 2018. Man muss sich mal vorstellen: Weil das Trinkwasser dort gefährdet ist, durfte dort bis vor kurzem weder gezeltet werden noch eine Kuh weiden. Weiter hieß es in Berichten: Der Schutz der Arbeiter, die für den Bau der A 49 Erde aus dem Gebiet abtransportieren, müsse gewährleistet werden, damit das krebserregende Hexyl seine Wirkung nicht entfalte.
Befürworter des Autobahnausbaus behaupten, durch das Projekt würde das Problem quasi beseitigt.
Das ist falsch. Der Geschäftsführer des Zweckverbands Mittelhessische Wasserwerke, Karl-Heinz Schäfer, bezeichnete den Bau der A 49 im Hinblick auf das Grundwasser als eine »Operation am offenen Herzen«. Hexyl darf nicht in Bewegung geraten und mit dem Grundwasser in Berührung kommen. Dort, wo tiefe Brückenpfeiler gebohrt werden, befindet sich das Trinkwasserschutzgebiet. Wird der Boden umgeschichtet, können toxische Stoffe ins Trinkwasser geraten.
Reagieren die Verantwortlichen angesichts des neuen Funds?
Das Regierungspräsidium Gießen rechnet nicht damit, dass sich der Weiterbau verzögern wird. Regierungspräsident Christoph Ullrich, der vor wenigen Tagen die A-49-Baustelle besucht hatte, wurde zitiert: Man wolle die Sache nun sauber aufarbeiten, damit die Autobahn Ende 2024 eröffnet werden könne. In anderen Baustellenbereichen gingen die Arbeiten zügig weiter.
Was muss aus Ihrer Sicht nun geschehen?
Laut Umweltschützern ist im Abschlussbericht zur Sanierung dokumentiert, dass weiteres Hexyl im Trassenbereich vorhanden ist. Die »AG Danni« fordert hydrogeologische Untersuchungen und einen generellen Baustopp. Dafür müssten sich die Grünen als Teil der Hessischen Landesregierung einsetzen. Es darf nicht sein, dass sie die europäische Wasserrahmenrichtlinie missachten. Auch deswegen haben wir am Wochenende mit Blockaden und Kundgebungen gegen Grüne und Co. demonstriert.
(aus: Junge Welt, 13.6.2022. Das Interview führte Gitta Düperthal)