Hier informieren wir regelmäßig über Aktivitäten der Kreise und des Bezirks.
Hessen: Grünen-Spitze hat mit Bauindustrie Frieden geschlossen. Ein Gespräch mit Alexis Passadakis.
In Hessen zeige man »wie Verkehrswende geht«, lobt sich die dortige Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einer Erklärung zu ihrem Parteitag am Sonnabend in Bad Hersfeld, der auch als Landesmitgliederversammlung bezeichnet wird. Sie sind da anderer Meinung?
Allerdings. Mit dieser Aussage verhöhnt die Fraktion die Klimagerechtigkeitsbewegung, deren zentrale Forderung ist: »Keinen Meter mehr Autobahn«. Zwar bietet man als Teil der CDU/Grünen-Landesregierung Hessens ein Senioren- und ein Schülerticket für den öffentlichen Nahverkehr und baut Radwege. Die echte Mobilitätswende, die nur durch den Baustopp von Autobahnen erreichbar ist, unterbleibt aber. Hessen plant zahlreiche Autobahnprojekte. Am bekanntesten ist das im Dannenröder Wald und Herrenwald, wo gegen den erbitterten Widerstand von Klimaaktivistinnen und -aktivisten gerodet wurde, um die A 49 zu bauen.
Aktuell tobt die Auseinandersetzung um den Ausbau der A 66 im Frankfurter Stadtteil Fechenheim. Der Wald dort ist besetzt. Die A 44 bei Kassel soll verlängert werden. Ausgebaut werden sollen in Hessen weiterhin die A 3, A 4, A 5, A 45 und A 67, sowie Bundesstraßen. Der grüne hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir und Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP versuchen dieses Mammutausbauprogramm trotz eskalierender Klimakrise durchzusetzen. Proteste der Klimagerechtigkeitsbewegung interessieren nicht. Im Gegenteil. Sie wird rigoros bekämpft. Was am Beispiel der Aktivistin Ella zu sehen ist, die zu einer langen Gefängnisstrafe verdonnert wurde.
Werden die Grünen in der Verkehrspolitik von ihrem Koalitionspartner CDU vor sich hergetrieben?
Nein. Al-Wazir, grüner Superminister für Verkehr, Wirtschaft, Energie und Wohnen und Stellvertreter des Hessischen Ministerpräsidenten, richtete 2016 eine Arbeitsgruppe ein, um den Ausbau der A 66 zu beschleunigen. Die schwarz-grüne Landesregierung startet solche Projekte gemeinsam mit der Bundesregierung als eine Art Pingpongspiel: Zuständig ist stets der andere. Die Führung der Grünen hat mit der Bauindustrie Burgfrieden geschlossen. Die profitiert.
Setzen Sie darauf, dass die grüne Basis bei der Mitgliederversammlung Ihre Empörung teilt?
Eher nicht. Zwar lehnen Akteure der hessischen Grünen Autobahnen in Zeiten der Klimakrise ab, aber die Mehrheit bekanntlich nicht. Aktive planen deshalb für Samstag, Autobahnen zu blockieren, nahe dem »Danni« und auf dem Weg nach Bad Hersfeld, wo der Grünen-Parteitag stattfindet. Davor gibt es eine Kundgebung. Wir demonstrieren, dass die Autobahngegnerbewegung keineswegs am Ende ist. Initiativen in Hessen vernetzen sich. Mit dabei ist Fecher bleibt – A 66 stoppen, das Bündnis kämpft um den Erhalt des Fechenheimer Waldes, und auch andere, die sich für den Baustopp von Autobahnen einsetzen: das Netzwerk Danni lebt, Ende Gelände Frankfurt, Koalakollektiv, People for Future Frankfurt, das Aktionsbündnis Unmenschliche Autobahn, die Initiative Riederwald, Klimattac/ATTAC Frankfurt. Der Wahlkampf der Grünen vor der Landtagswahl im Herbst 2023 soll von unseren Kämpfen geprägt sein. Wald oder Asphalt: Es wird eine harte Auseinandersetzung.
Sie wollen Minister Al-Wazir konfrontieren. Werden Ihre Appelle nicht eher verhallen, zumal sich die Grünen täglich mehr vom Anspruch einer Ökologiepartei entfernen?
Sie haben in Hessen gezeigt, dass ihnen die Pfründe einer Regierungsbeteiligung wichtiger sind. Es hat keinen nennenswerten Ausbau erneuerbarer Energien gegeben, der Autobahnbau wird gnadenlos durchgesetzt. Wir haben also keine Illusionen. Klimapolitik ist ihnen gerade einmal wichtig genug für Sonntagsreden. Der Konflikt lässt sich nicht durch einzelne Aktionen lösen. Bevor es zu Rodungen kommt, muss es uns gelingen, genügend Unruhe zu stiften. Es braucht großen Druck, um politische Entscheidungen auf Landes- und Bundesebene zu erwirken. Auch Gerichtsentscheidungen spielen dabei eine Rolle.
(aus: Junge Welt, 10.6.2022. Das Interview führte Gitta Düperthal)