Hier informieren wir regelmäßig über Aktivitäten der Kreise und des Bezirks.
Faschistische Schmierereien in Kassel häufen sich. Nazigegner fordern Signal gegen rechte Provokationen. Ein Gespräch mit Ulrich Schneider
Im Namen der Kreisvereinigung Kassel der VVN-BdA haben Sie sich vergangene Woche wegen Nazischmierereien in der Stadt an die Öffentlichkeit gewandt. Kurz zuvor meldete die Polizei, dass großflächig Hakenkreuze und »Hitler« auf einen Parkweg gemalt wurden. Welche Ausmaße hat das angenommen?
Nachdem es eine ganze Zeit lang etwas ruhiger geworden war, tauchen seit dem Frühjahr wieder verstärkt solche Sachen auf, insbesondere in zwei Regionen: in der Karlsaue, der Parkanlage im Innenstadtbereich, und in der Nordstadt, insbesondere auf dem Hauptfriedhof. Hier werden gezielt im öffentlichen Raum von erkennbar jüngeren Leuten solche Schmierereien als Provokation angebracht.
Die Schmierereien werden entfernt, mehr passiert aber nicht?
Die werden logischerweise entfernt. Aber wenn es beispielsweise zu den rechten Schmierereien, die das erste Mal in der Karlsaue aufgetaucht sind, in der Pressemitteilung heißt, dass irgendwo auch ein »Z« aufgemalt worden sei, und man einen Zusammenhang zwischen den beiden Dingen konstruiert, dann wird deutlich, welches Problembewusstsein vorliegt …
Hakenkreuze und dergleichen werden also bloß als politische Schmierereien verbucht?
Genau. Und es wird nicht die Frage gestellt, was bedeutet es eigentlich, wenn man so gezielt mit Nazisymbolen an die Öffentlichkeit tritt.
Es liegt nahe, dass sich antifaschistische Organisationen wie Ihre empören. Wie groß ist das Problembewusstsein generell in Kassel?
Das ist, was uns eigentlich so ärgert: Abgesehen von Polizeimeldungen, die meistens kaum Aufmerksamkeit erhalten, hat sich zu diesem Skandal bislang in der Stadt nichts gerührt. Als das auf dem Hauptfriedhof mehrfach passierte, hat sich dessen Leiter in einer Stellungnahme gemeldet. Aber weder die Stadt noch andere gesellschaftliche Organisationen fanden es nötig, darauf zu reagieren. Ich fürchte, sie versuchen das quasi totzuschweigen, nach dem Motto »Wenn wir drüber reden, regen wir die an weiterzumachen.« Aber totschweigen geht nicht, insbesondere nicht, wenn man die Vielzahl dieser Provokationen in den vergangenen Wochen betrachtet.
Seit dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019 durch Neonazis sollte doch die Stadt die faschistische Gefahr auf dem Schirm haben. Wieso ist das offenkundig nicht der Fall?
Selbstverständlich gibt es hier recht viele gesellschaftliche Gruppen, die mit großem Engagement versuchen, das aufzuarbeiten und für Toleranz sowie gegen Ausgrenzung etc. einzutreten. Nur bei solchen realen Problemen, wenn zum Beispiel Hakenkreuzschmierereien etc. auftauchen, wird auf einmal gemauert. Weiter so zu tun, als gäbe es kein größeres Naziproblem in Kassel, könnte dazu führen, dass uns bei der Documenta, die ja bald für 100 Tage die Stadt ins Licht der internationalen Öffentlichkeit rückt, solche Provokationen bösartig auf die Füße fallen.
Wie hat sich die Neonaziszene in Kassel in den vergangenen Jahren entwickelt?
Sehr heterogen. Wir haben immer eine Neonaziszene hier gehabt, die sich dann aber oftmals auch im Umfeld der Stadt »austobte«, weil sie in Kassel selbst auf Widerspruch und Widerstand stieß. Wir sehen jetzt, dass sich im jugendlichen Spektrum offenkundig die extreme Rechte wieder neu formiert.
Faschistische Schmierereien zu entfernen, ist das eine. Wie sollen aus Ihrer Sicht die Ursachen bekämpft werden?
Die Linke hat vor anderthalb Jahren im Zusammenhang mit dem Mord an Lübcke und dem Urteil gegen Stephan Ernst wegen der Tat eine Dokumentation herausgebracht unter dem Titel »Wenn wir das gewusst hätten«, – rein ironisch gemeint. Es waren alles Dinge, die man hätte wissen können – und die antifaschistische Recherchegruppen wissen. Nur, die Stadt und auch die Öffentlichkeit haben diese Sachen nicht wahrnehmen wollen. Und nachdem man die Jugendarbeit immer mehr – auch coronabedingt – heruntergefahren hat, muss man jetzt gucken, wie man wieder an die jungen Leute herankommt und ihnen klarmacht, wo hier die Grenze ist. Wir müssen ein Signal setzen, nur kann das nicht allein von der VVN-BdA kommen. Wir sind bereit, an diesem Thema politisch weiterzuarbeiten, mit den Kräften, die wir hier in der Stadt haben.
(aus Junge Welt, 31.5.2022. Das Interview führte Marc Bebenroth