Hier informieren wir regelmäßig über Aktivitäten der Kreise und des Bezirks.
Klimaschutz erfordert eine grundlegende öko-soziale Wende – und zwar jetzt. Klimaschutz erfordert auch: Abrüstung! Militär ist der größte Klimakiller: Allein die US-Armee produziert jährlich einen CO²-Ausstoß von über 70 Millionen Tonnen – das ist mehr, als Industrieländer wie Schweden, Dänemark oder Portugal verursachen. Ein Bundeswehr-Tornado verbraucht pro Flugstunde je nach Flughöhe und Geschwindigkeit 2-6000 Kg Kerosin mit der entsprechenden CO²-Belastung. Kriege zerstören Leben und die Umwelt und Klima: In den Interventionskriegen der letzten Jahre kam Uran-Munition zum Einsatz (z.B. in Jugoslawien und im Irak). Hierdurch werden Umweltlasten für die Ewigkeit verursacht. Im Irakischen Falludscha setzte die US-Armee weißen Phosphor gegen die Zivil-bevölkerung ein, der ganze Regionen auf Jahrzehnte unbewohnbar macht. Hunderte von Öl- und Treib-stoff-Lastzügen wurden in Syrien bombardiert, mit den entsprechenden Umweltzerstörungen. Krieg für Öl: „Für fast alle Kriege der letzten Jahre lässt sich nachweisen, dass der Zugang zu Erdöl, Erdgas und anderen Rohstoffen sowie den Transportwegen zu den wesentlichen Kriegsgründen zählte“, so die IPPNW (Int. Ärztevereinigung für die Verhinderung des Atomkrieges). Milliarden für Rüstung und Krieg: Während viele hunderte von Milliarden jährlich für Rüstung und Krieg ausgegeben werden, fehlt das Geld auf der anderen Seite für wirkungsvolle Klimaschutzmaßnahmen. Allein die USA gaben 650 Mrd. Dollar für Rüstung aus – die NATO insgesamt fast 1000 Mrd.. China lässt sich das Militär 250 Mrd. kosten, Russland 61 Mrd. Dollar … und der Rüstungsetat der Bundesrepublik Deutschland klettert 2020 erstmals auf über 50 Mrd.€! Das kürzlich beschlossene Klimaschutzpaket der Bundesregierung nimmt sich dagegen außerordentlich bescheiden aus. Und belastet werden vor allem die „kleinen Leute“, während Kohle- und Energiekonzerne und die Großindustrie weiter geschont werden. Wir fordern: Abrüsten jetzt! Milliarden für Klimaschutz statt für Militär und Krieg!
Friedensforum Werra-Meißner
Das Berliner Finanzamt hat der Bundesvereinigung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) e.V., die Gemeinnützigkeit entzogen. Damit verbunden sind Steuernachforderungen in fünfstelliger Höhe, die noch in diesem Jahr fällig werden. Weitere erhebliche Nachforderungen sind zu erwarten und auch zukünftig drohen wesentlich höhere steuerliche Belastungen. Damit wird die VVN-BdA in ihrer Existenz bedroht. Die „Begründung“ für diese Maßnahme lautet, dass die bayrische VVN-BdA im dortigen Verfassungsschutzbericht wiederholt als linksextremistisch beeinflusst dargestellt wird. Die Bewertung durch eine nachgeordnete bayrische Landesbehörde, die laut bayrischem Gerichtshof keine Tatsachenbehauptung darstellt, entscheidet demnach über das Schicksal einer bundesweit arbeitenden zivilgesellschaftlichen Organisation.
Von Überlebenden der Konzentrationslager und Gefängnisse 1947 gegründet, ist die VVN-BdA die größte, älteste, überparteiliche und überkonfessionelle Organisation von Antifaschistinnen und Antifaschisten Deutschlands. Sie hat wesentlich dafür gesorgt, dass die Verbrechen des Nazi-Regimes nicht in Vergessenheit geraten sind, u.a. durch den Einsatz für die Errichtung von Gedenkstätten und Erinnerungsorten und vielfache Zeitzeugenarbeit. Sie informiert über aktuelle neofaschistische Umtriebe und unterstützt den Widerstand gegen AfD und Co. in breiten Bündnissen. Seit Bekanntwerden dieser Maßnahme hat unsere Vereinigung schon viel Solidarität und Unterstützung erfahren. Das tut gut und gibt uns Kraft. Jedoch gibt es bisher kein Einsehen beim Finanzamt, dem bayrischen Verfassungsschutz oder beim Finanzminister. Deshalb bitten wir darum, der VVN-BdA in dieser Situation beizustehen.
- Bitte die Petition unterzeichnen und weiterverbreiten: https://www.openpetition.de/petition/online/die-vvn-bda-muss-gemeinnuetzig-bleiben , ·
- Mitglied werden und zur Mitgliedschaft auffordern: https://frankfurtmain.vvn-bda.de/mitglied-werden/ , ·
- Den großartigen Brief von Esther Bejarano an Olaf Scholz verbreiten (Anhang), ·
- Und, das liegt auf der Hand, die VVN-BdA braucht Geld, um ihre antifaschistische Arbeit fortsetzen und verstärken zu können: Spendenkonto IBAN: DE94 1005 0000 0190 0372 70 BIC: BELADEBEXXX
- Großen Dank für jede Unterstützung. Wir lassen uns nicht unterkriegen. Wir werden weiter mit allen Menschen, die gegen Rassismus, Antisemitismus, Neofaschismus, AfD & Co, für Frieden und Abrüstung, für die Verteidigung demokratischer Rechte aufstehen, zusammenarbeiten und weiter an dazu erforderlichen breiten Bündnissen mitarbeiten. Denn für uns wird weiter das Vermächtnis der befreiten Häftlinge von Buchenwald gelten: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“
- Mit solidarischen Grüßen
- Anne Kahn Dieter Bahndorf Norbert Birkwald SprecherInnen der VVN-BdA Kreisvereinigung Frankfurt Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Kreisvereinigung Frankfurt Eckenheimer Landstraße 93 60318 Frankfurt am Main Telefon: 0177 61 12 5 21 E-Mail: frankfurt@vvn-bda.de
Am 9.11.2019 fand in Gießen wieder ein Mahngang zur Reichspogromnacht statt. Diese finden seit 1978 regelmäßig statt. Aufgerufen haben ARAG, DKP, SDAJ und die VVN/BdA Gut 180 Personen fanden sich am Rathausplatz ein. Henning Mächerle sprach für die VVN/BdA: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Diese Forderung ist ein politisches Vermächtnis von Überlebenden und Widerstandskämpfern gegen den Faschismus. In diesem Zusammenhang ist der 9. November ein Tag von Gedenken und Mahnen. Das Vermächtnis als Grundlage unseres Handelns zu nehmen, bedeutet für uns Stellung zu beziehen und uns einzumischen gegen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, staatliche Repression gegenüber Flüchtlingen, Aufrüstung und Kriegspolitik und für eine solidarische Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Deshalb wenden wir uns auch gegen eine Historisierung des Faschismus als eine abgeschlossene einmalige unverständliche Epoche. Die Geschichte hat gelehrt, dass die herrschende Klasse niemals freiwillig abtreten wird. So werden auch die Kapitalisten nicht davor zurückschrecken, ihre Macht mit allen Mitteln zu verteidigen. Faschismus ist daher eine immer noch vorhandene aktuelle Gefahr! Hier folgen nun zur Erklärung die einzelnen Stationen des Mahngangs, was jeweils dort geschah. Wir legten jeweils rote Nelken nieder.
Stadtverwaltung
Am 30.1.1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Gleich nach der Reichstagswahl im März 1933 wurde die Gießener Hilfspolizei um 110 SA-Leute, 75 Stahlhelmer (DNVP-nahe) und 20 SS-Leute u.a. zum »nächtlichen Streifendienst und Stärkung des Überfallkommandos« vermehrt. Die Ortsgruppe Mitte der NSDAP Gießen forderte kurz danach eine Generalreinigung in Deutschland und insbesondere die Säuberung des »Beamtenkörpers.« Dies wurde von dem neuen Gießener Stadtrat (ohne KPD; mit der SPD als einzige Opposition) und die Stadtverordnetenversammlung schnell umgesetzt. Im April 1933 wird Adolf Hitler durch Stadtverordnetenbeschluss Ehrenbürger Gießens und der Anlagenring wurde in »Hitlerwall«, »Wesselwall«, »Hindenburgwall« und »Wernerwall« umbenannt (Bei Stimmenthaltung der SPD). Adolf Hitler nahm die Ehrenbürgerschaft an und sprach dem Stadtrat in einem Schreiben seinen ergebensten Dank aus. Auch die Stadtverwaltung und die städtischen Betriebe wurden schnell im Sinne der Nazis umstrukturiert. In einem NS-Aufruf vom Mai 1933 erging die Aufforderung, so genannte »alte und verdiente« NS-Genossen schnellstens in Arbeit und Brot zu bringen. In Gießen sollten solche alten Parteigenossen z. B. zur Feuerwache wechseln oder von den Straßenkehrern in andere Arbeitsstellen einrücken. Unerwünschte Arbeiter wie z.B. der Straßenbaumeister (ehemals Reichsbanner und SPD-nah) sollten geschasst werden. Entlassen wurden 1933 über 40 Arbeiter und 20 Beamte und Angestellte. Belegt sind außerdem bei festen Neueinstellungen (über einen längeren Zeitraum) über 50 Anfragen des Gießener Oberbürgermeisters bei der NSDAP (Gau Hessen- Nassau) zur Überprüfung der politischen Zuverlässigkeit der neuen Arbeiter. Diese Einflussnahmen und Ausspähungen gingen so weit, dass bspw. einem Theaterarbeiter die feste Einstellung verwehrt wurde, weil seine Spenden für das nationalsozialistische Winterhilfswerk zu gering gewesen seien und er keiner NS- Parteigliederung angehört hatte. Dieser Arbeiter (wie andere auch) sollte vom OB diszipliniert werden: Es wurde ihm ein halbes Jahr Zeit gegeben, diese »Beanstandungen« zu bereinigen.
Neue Bäue 23
Hier befand sich früher das Bankhaus Herz. Nach dem Novemberpogrom wurde es »arisiert«, d.h. musste von dem jüdischen Eigentümer zwangsverkauft werden bzw. wurde enteignet. Die Liegenschaften des Moritz Herz gingen sämtlich in den Besitz des Deutschen Reiches über (entweder Der Polizeiverwaltung oder der Reichsvermögensverwaltung). Dass es sich gerade um ein Bankhaus handelte, kann als Beleg dafür gesehen werden, dass bestimmte Vermögenswerte von vornherein für zentrale NS-Strukturen bestimmt waren und das Pogrom geplant war. Die meisten der Gießener jüdischen Liegenschaften gingen in die Hände der sogenannten »Arischen«. Die Gießener Gestapo richtete nach dem Pogrom hier ihr Quartier ein. Im Keller befanden sich Verhör- und Gefängniszellen, im Parterre Diensträume und Büros und im 1. Stock die Gestapo-Leitung mit Kriminalrat Winzer. Hier saß u.a. auch die Gießener Antifaschistin Ria Deeg ein, die über mindestens drei Todesopfer der Gießener Gestapo berichtete. Als in den 1980er Jahren die Stadt Gießen an der Hauswand des ehemaligen Gestapo-Hauses eine Gedenktafel anbringen lassen wollte, konnte dies wegen des Einspruches des Eigentümers (nicht des Restaurantbetreibers) nicht verwirklicht werden, so dass die Gedenktafel in den Bürgersteig und damit an einer weniger auffallenden Stelle, eingelassen werden musste. Über die politische Verfolgung wurde im Gießener Anzeiger relativ offen berichtet. So wurde dem ersten Konzentrationslager auf hessischem Boden, dem KZ Osthofen, mehrere Artikel gewidmet. Zum Beispiel wurde im Gießener Anzeiger vom 6.5.33 die »Fruchtbare Erziehungsarbeit an kommunistischen Häftlingen« gepriesen. Ende 1933 befanden sich schon 27 Menschen aus Gießen in Osthofen.
Walltorstaße
In der Walltorstr. 32, 42 und 43 und in der Landgrafenstr. 8 befanden sich die sog. »Judenhäuser«. Mit dem Gesetz »über die Mietverhältnisse mit Juden« vom 30.4.1939 begann die Ghettoisierung der Juden. Nichtjüdische Vermieter wurden von den Verpflichtungen des Mieterschutzes gegenüber den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern befreit und konnten ihnen kündigen und jüdische Vermieter mussten nunmehr freiwerdenden Wohnraum auf Verlangen an Juden vermieten. In Gießen war die Errichtung von »Judenhäusern« vorgesehen, in denen die Gießener Juden in großer Enge lebten. Die Durchführung dieser Maßnahme war Sache der städtischen Verwaltungen. Dies war nicht die einzige Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Juden: Nach Kriegsausbruch wurde den jüdischen Gemeinden in geheimer Anordnung übermittelt, dass Juden ihre Wohnungen zwischen 20 Uhr und 6 Uhr nicht mehr verlassen durften. Effektiv überwacht werden konnte dies Verbot allerdings erst nach der Einführung des »Judensterns« im Sept. 1941. Dazu kamen nach der Einführung von Lebensmittelkarten nach Kriegsausbruch gekürzte Rationen für Juden: weniger Fleisch und Butter, keinen Kakao oder Reis, keine Schokolade etc. Seit September 1942 gab es dann für Juden überhaupt kein Fleisch mehr ebenso wie Milchwaren, Eier und einer Reihe anderer Lebensmittel.
Steinstraße 8
In der Steinstr. 8 und der Südanlage 2 befanden sich die zwei Gießener Synagogen, die während der Reichspogromnacht von Nationalsozialisten niedergebrannt wurden. Gleichzeitig wurden in der Gießener Innenstadt jüdische Geschäfte und Wohnungen demoliert und ausgeraubt, zahlreiche Juden und Jüdinnen willkürlich verhaftet. Das Novemberpogrom war ein geplantes Pogrom: Polizei und Feuerwehr hatten die Anordnung erhalten, lediglich die neben den Synagogen stehenden Gebäude vor einem übergreifen der Brände zu sichern, im Übrigen dem sog. »Volkszorn« freien Lauf zu lassen. Diese Weisungen wurden, abgesehen vom Plünderungsverbot, befolgt. Es wurden ca. 100 Juden umgebracht, ca. 30000 weitere Juden in KZ`s gebracht und die meisten der 400 noch bestehenden Synagogen niedergebrannt. Auch beide Gießener Synagogen wurden niedergebrannt. In der Steinstraße hatte die SA das Gelände abgesperrt. Ein stadtbekannter Nazi hatte Benzin in die Synagoge getragen und die Feuerwehr, die noch heute ihren Standort in unmittelbarer Nähe hat, ist während des Brandes untätig geblieben. Die Stadt Gießen, die die Grundstücke des jüdischen Gemeindebesitzes im Juni 1939 übernommen hat, bezahlte für die Hofreite in der Steinstraße 8 (Synagoge) und den jüdischen Friedhof den sehr geringen Betrag von 4660 RM! Die Hofreite des jüdischen Gemeindebesitzes in der Südanlage mit der Synagoge und einer Hofreite in der Lonystr.4 mit der jüdischen Gemeindeverwaltung sowie einen Grabgarten übernahm ebenfalls die Stadt Gießen im Juni 1939 für 40000 RM. Eine Zeitzeugin (Ria Deeg) erinnert sich: »Ich selber habe Abends nur noch die Trümmer gesehen und ging die Neustadt entlang. Dort beim Zwang, ein großes Herrenbekleidungsgeschäft, lagen die Stoffballen und Kleider, die ganze Straße voller Splitter, obwohl die Juden inzwischen hätten aufräumen müssen. Das hat nicht die Stadt gemacht, sondern die Stadt hat von den Juden verlangt, dass sie wieder saubermachen. Ich lief weiter in die Neustadt in Richtung Bahnhofstr., wo überall jüdische Geschäfte waren. Dort waren überall die Fensterscheiben kaputt und es war eine ziemlich große Unruhe. Die Nazis sind ja doch in die Wohnungen rein, haben zuerst das zerbrechliche Geschirr und danach die Möbel durch die Fenster rausgeschmissen. Sie haben sich auch an den Juden vergriffen, sie beschimpft und geschlagen. Ein Jude hat einen Herzanfall gekriegt und starb daran, eine Frau ist aus dem Fenster gesprungen vor Angst und war tot.«
Goetheschule
Vom 15.8 – 1.12.1942 wurden die letzten Gießener Juden und Jüdinnen nach Ausschwitz und Theresienstadt deportiert. Es waren 141 Gießener, 9 Wiesecker und mit den Juden und Jüdinnen aus dem Kreis Gießen zusammen etwa 300 bis 330 Menschen. Die Goetheschule diente als Internierungslager. Ihr letzter Gang durch Gießen verlief von hier aus zum Güterbahnhof. Über die bürokratische Gründlichkeit der Vernichtungsmaschinerie und auch des weitverbreiteten Wissens darüber geben Schreiben des Gießener Oberbürgermeisters, des Elektrizitätswerkes und des Bauamtes Gießen Auskunft. Die Schüler der Goetheschule hatten vom 12. bis 17.9.42 schulfrei. Geplant wurde die Aktion auf einer Besprechung mit dem Beigeordneten Nikolaus, der Gestapo, dem NS-Kreisamtsleiter Hortig und dem Leiter des Wirtschaftsamtes. Das Stroh für die Lagerstatt der Menschen sollte von Landwirten des Stadtkreises Gießen leihweise bezogen werden und die Verpflegung sollte der Bahnhofsdienst der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt übernehmen. Das Stadtschulamt Gießen ordnete- den Unterrichtsausfall an und die Stadtwerke Gießen stellten eine Rechnung aus über Sonderfahrten „zur Evakuierung der Juden“ über 147,30 RM für verschiedene Omnibusfahrten innerhalb Gießens und in den Ortschaften der näheren Umgebung. Dieser Vorgang war allerdings nur der letzte Akt der Vertreibung und Ermordung der Gießener Juden. Am 30. 1. 1933 lebten in der Stadt Gießen 1229, in Wieseck 37 Juden. Am 5. August 1938 waren es noch 364, am 31.3.1939 (dazwischen lag das Novemberpogrom von 1938) waren es nur noch 287. Die städtische Einwohnerliste vom Februar 1941 verzeichnet nur noch 190 Gießener und 8 Wiesecker Juden und Jüdinnen. Den Holocaust überlebten nur 4 Juden. Unter den etwa 150 deportierten Gießener Juden und Jüdinnen waren auch 15 Minderjährige.
Bahnhofstraße
Die sogenannten „Arisierung“ jüdischen Besitzes vollzog sich auch in Gießen in kleineren Abschnitten. Von der anfänglichen Boykottbewegung ab 1933, („Kauft nicht bei Juden!“), währenddessen schon jüdische Geschäfte sozusagen aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben werden mussten bis zur gezielten Liquidation 1939 vergingen einige Jahre. In Gießen gab es im Juli 1936 noch 130 Gewerbebetriebe, Geschäfte, Praxen u.a., die sich in sog. „Nichtarischen“ Händen befanden. Im Oktober 1937 waren es noch 100 Betriebe, im Oktober 1938 noch 53 Betriebe und nach dem Novemberpogrom waren es im Januar 1939 nur noch 6 Betriebe. Die Nazis gingen in ihrer Gier sehr planmäßig vor: Die Juden und Jüdinnen mussten seit April 1938 schon sämtliches Vermögen über 5000 RM anmelden und nach dem Novemberpogrom 1938 wurde ihnen eine sog.“Buße“ in Höhe von 1,12 Mrd. RM auferlegt. Eine Ministerkonferenz legte nach dem Pogrom die L e i t l i n i e n künftiger „Arisierung“ und Liquidierung jüdischer Unternehmen und Geschäfte fest. Nach einer Liste des städtischen Katasteramtes von 1946 sind in Gießen insgesamt 409 Liegenschaften:- die in jüdischem Eigentum standen, die meisten nach 1938 aufgrund der Arisierungsverordnungen, „arisiert“ worden. Betroffen davon waren im Stadtgebiet Gießens 197 Familien oder Einzelpersonen, in Wieseck 37 Familien oder Einzelpersonen. Im Rahmen des Zwangsverkaufes des jüdischen Besitzes versorgten sich viele Gießener Bürger mit Haus und Grundbesitz zum Teil weit unter ihrem tatsächlichen Wert. In der Bahnhofstraße waren dies, um eine willkürlich gewählte Straße als Beispiel zu nennen, die Häuser Nr. 2/4/14/30/35/56/65/66/76/77/79. In der Katharinengasse 11 ist ein Stolperstein von Hans Rosenbaum. Der Mahngang endete an der Kongresshalle Gießen, am Standort der einstigen Hauptsynagoge, welche ebenfalls 1938 niedergebrannt wurde. Die Gruppe sang gemeinsam das Lied der Moorsoldaten und legte eine Schweigeminute ein. Am Gedenkstein wurde ein Kranz niedergelegt. Nächstes Jahr wird ein größeres Bündnis zu dem Mahngang aufrufen- nächstes Jahr sind wir mehr! GEGEN DAS VERGESSEN!
Martina Lennartz, Beitrag erschienen in der Gießener Zeitung am 11. November 2019
Diskussionsveranstaltung der DKP-Gießen am Donnerstag, den 24. Oktober, um 19 Uhr im Kerkrade-Zimmer der Kongresshalle. Referent: Dr. Arnold Schölzel.
1947 in Bremen geboren, 1967 von der Bundeswehr desertiert und in die DDR gegangen, ab 1970 Philosophiestudium und Arbeit an der Humboldt-Universität als wissenschaftlicher Mitarbeiter, 1991 suspendiert und 1994 entlassen wegen MfS-Mitarbeit, langjähriger Chefredakteur der „jungen Welt“ Veranstalter: Gießener Linke, Wahlbündnis aus DKP, Partei die Linke und Linkem Bündnis, Fraktion im Gießener Stadtparlament Fraktion im Kreistag Juso-Vorsitzender Kühnert sprach im Frühjahr von der Kollektivierung von BMW, in Berlin fordert eine Bürgerbewegung die Enteignung der Wohnbaukonzerne.
Friedrich Engels: Zur Wohnungsfrage:
„… (Man darf) nicht wissen, * dass sie ein notwendiges Erzeugnis der bürgerlichen Gesellschaftsform ist, * dass eine Gesellschaft nicht ohne Wohnungsnot bestehen kann, in der die große arbeitende Masse auf Arbeitslohn, also auf die zu ihrer Existenz und Fortpflanzung notwendigen Summe von Lebensmitteln, ausschließlich angewiesen ist; * in der fortwährend neue Verbesserungen der Maschinerie usw. Massen von Arbeitern außer Arbeit setzen… * in der endlich der Hausbesitzer in seiner Eigenschaft als Kapitalist nicht nur das Recht, sondern vermöge der Konkurrenz auch gewissermaßen die Pflicht hat, aus seinem Hauseigentum rücksichtslos die höchsten Mietpreise herauszuschlagen. In einer solchen Gesellschaftsform ist die Wohnungsnot kein Zufall, sie ist eine notwendige Institution, sie kann mitsamt ihren Rückwirkungen auf die Gesundheit usw. nur beseitigt werden, wenn die ganze Gesellschaftsordnung, der sie entspringt, von Grund aus umgewälzt wird… Die Lösung liegt in der Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise, in der Aneignung aller Lebens- und Arbeitsmittel durch die Arbeiterklasse selbst.“
Michael Beltz
Mit zusätzlichen 1500 Sturmgewehren wird die hessische Polizei hochgerüstet. Nach den umstrittenen Tasern, mit denen bereits zwei Menschen getötet wurden, werden auch die Schusswaffen martialischer und lösen die bisherigen Maschinenpistolen ab. Vorgeblich geht es um den Kampf gegen den „Terrorismus“. Aber der findet nicht statt, und wo doch, kann er schwerlich mit Gewehren bekämpft werden. Die NSU-Morde hätten damit nicht verhindert werden können und andere rechte Anschläge auch nicht.
Für die Ausrüstung der Polizei insgesamt wird immer mehr Geld ausgegeben, was in keinem Verhältnis zu den Realitäten steht. Die Kriminalität sinkt auf allen Gebieten – bis auf die Internetkriminalität, zu deren Bekämpfung man sicher keine Gewehre braucht. Oder denken die Verantwortlichen an die Vorbereitung auf kommende Straßenkämpfe wie z. B mit den Gelbwesten in Frankreich, die – in ihrem Kampf gegen Sozial- und Lohnabbau – die volle Gewalt der Obrigkeit zu spüren bekamen – bis zur Erblindung und zum Verlust von Gliedmaßen. Statt solche Szenarien zu proben, sollte die Polizei sich wichtigen bestehenden Problemen zuwenden. Rund 600 Rechte sind trotz Haftbefehl auf freiem Fuß. Die Fallzahlen rechter Gewalt steigen in Hessen wie bundesweit. Aus einer Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass im ersten Halbjahr 2019 mehr als 8.600 rechtsextreme Straftaten registriert worden sind. Diese Zahl bedeutet eine deutliche Zunahme im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Hessen hatte übrigens für Juni kein rechtes Gewaltdelikt gemeldet, wie aus der Antwort des Bundesinnenministeriums hervorgeht, obwohl am 2. Juni Walter Lübcke von einem Faschisten erschossen wurde. Innenminister Beuth erklärte in seinem Bericht vom 18.9. 2018, dass es 1475 Rechte in Hessen gibt, davon gewaltorientiert 680, Straftaten 539, davon Gewalttaten 25 (2017: 16).
Wie viele in dieser Aufzählung fehlen, darüber mag man spekulieren, ebenso wie darüber, wie weit die rechten Seilschaften innerhalb der hessischen Polizei Einfluss auf die Statistik nehmen. Dass vor diesem Hintergrund die Aufrüstung mit Gewehren – auch in falsche Hände – vor sich geht, gibt Anlass zu Befürchtungen. Erika Beltz
Die Jubelfeier über das Ende der DDR vor 30 Jahren Mitte August im früheren Notaufnahmelager dürfte nur der Auftakt gewesen sein. Einig waren sich die Referenten Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und der Historiker Hubert Kleinert (Grüne) darin, dass die Teilung und Westanbindung Deutschlands unvermeidbar gewesen sei. Wirklich? Das von den vier Siegermächten beschlossene Potsdamer Abkommen, das von deutscher Seite akzeptiert werden musste, stand dem entgegen; es postulierte ein einiges neutrales Deutschland – ohne Faschismus und ohne Militarismus. Das passte Adenauer nicht, der „lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb“ wollte. Mit dem Grundgesetz und der Gründung der BRD wurde im Mai 1949 die Teilung vollzogen – noch unter Verzicht auf Wiederbewaffnung. Selbst Franz-Josef Strauß hatte noch 1949 getönt: „Wer jemals wieder ein Gewehr in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfallen.“ Am 7. 10. 1949, fünf Monate nach der BRD, wurde die DDR gegründet. Unter Bruch des Grundgesetzes (und des Potsdamer Abkommens) beschloss die CDU-Regierung (mit Zustimmung der SPD) 1955 die Wiederbewaffnung. „Mit klingendem Spiel sollte die Bundeswehr durch das Brandenburger Tor“ in die DDR einmarschieren – so Adenauers Traum und Ziel, um als nächstes Europa „bis zum Ural befreien“. Nicht nur militärisch wurde die DDR bedroht. Es fand ein regelrechter Medien- und Wirtschaftskrieg statt, gegen den sich die DDR erfolgreich – auch mit dem Bau der Mauer – zur Wehr setzte und schließlich zu den zehn wirtschaftlich stärksten Staaten der Welt zählte. Aber die Stasi?! Nach den Skandalen um CIA und NSA ist es etwas ruhiger geworden, und vergleicht man die Abhörskandale, Trojaner und „Pannen“ des „Verfassungsschutzes“ mit der Stasi, so sieht letztere ziemlich unbedarft aus. Bleibt die „Freiheit“, gemeint vor allem die Reisefreiheit. Nach 1961 konnten DDR-Bürger in der Regel nicht in den Westen reisen. Aber ab 1964 durften Rentner die BRD besuchen. Das taten Millionen – und kehrten alle wieder zurück in die „Zwangsdiktatur“. Warum? Dort gab es ein Recht auf Arbeit und auf Wohnung (die Miete betrug rund 3% des Einkommens) sowie ein international anerkanntes Gesundheits- und Bildungswesen für alle. Daran darf heute nicht einmal mehr gedacht werden. Die DDR musste mit allen Mitteln „delegitimiert“ werden, wie FDP-Justizminister Kinkel 1992 forderte. Dazu wurde und wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Damit ja keiner auf den Gedanken kommt, in der DDR wäre das eine oder andere doch gar nicht so schlecht, vielleicht sogar besser gewesen.
Erika Beltz (aus Gießener Echo September 2019)
Deutschland darf sich an einer Politik der Konfrontation, der Sanktionen und der Aufrüstung nicht länger beteiligen, sondern muss sich ihr widersetzen und dafür Partner in Europa und weltweit suchen. Die Nutzung von Militärbasen und anderer Infrastruktur in Deutschland für völkerrechtswidrige Kriege darf nicht gestattet werden. Wir fordern die Bundesregierung, die Parteien und die Medien in Deutschland auf, zu einer Politik des Friedens und der Abrüstung, der Entspannung und Verständigung, der Achtung des Völkerrechts, der gemeinsamen Sicherheit in Europa und weltweit zurückzukehren, wie sie der Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt betrieben hat. Die Kriegsgefahr steigt weltweit. Der Iran wird unmittelbar mit Krieg bedroht. Die USA und anschließend auch Russland kündigten den INF-Vertrag über Mittelstreckenraketen, der START-Vertrag über die Reduzierung der Langstreckenraketen läuft 2021 aus. Das Ende des Rüstungskontrollsystems droht. Auch der Weltraum und das Internet werden militarisiert. Neue Technologien wie superschnelle Raketen, Laserwaffen und autonome Killer-Roboter erhöhen die Kriegsgefahr. Zur Gefahr der Klimakatastrophe tritt die eines nuklearen Winters. Am 1. September 2019 jährt sich zum achtzigsten Mal der Überfall des faschistischen Deutschland auf Polen, der Beginn des zweiten Weltkriegs. Fast 80 Millionen Menschen wurden getötet, die Mehrzahl davon Zivilpersonen. Die mit Abstand meisten Opfer hatten die Sowjetunion und China zu beklagen. Die Vereinten Nationen zogen 1945 in ihrer Charta die bis heute gültigen Lehren aus den Weltkriegen: “Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder. (…) Jeder Staat hat das Recht, seine politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Ordnung frei zu wählen und zu entwickeln. (…) Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.” Heute herrschen in vielen Ländern erneut Krieg oder Bürgerkrieg, weltweit wächst die Gefahr neuer Kriege. Krieg ist Hauptursache für Flucht und Vertreibung. Die Grundnormen des Völkerrechts werden immer wieder und von vielen Staaten verletzt. Deutschland und andere EU-Staaten waren und sind an Kriegen beteiligt, die militärische Rolle der EU wird fortschreitend ausgebaut. Die massivsten Völkerrechtsverstöße gehen jedoch seit langem von den USA aus, die ständig in mehrere Kriege verwickelt sind. Immer wieder wurden diese mit inszenierten Lügen begründet (Tonkin-Zwischenfall, Brutkastenlüge, Hufeisenplan, Saddams Massenvernichtungswaffen …). Das US-Militär ist zudem der größte einzelne Öl-Verbraucher und Umweltzerstörer. In den letzten Jahren setzt die US-Regierung noch stärker als bisher auf Gewalt und Aufrüstung, eine aggressive Politik und Einmischung in andere Länder, um weltweit ihre Interessen und ihnen genehme Regime durchzusetzen. Die Rüstungsausgaben der USA sind doppelt so hoch wie die von China und Russland zusammen, die der NATO dreimal so hoch. In den kommenden Jahren sollen sie dramatisch weiter erhöht werden. Russland und China betreiben Militärpolitik, doch Politik und Massenmedien messen mit zweierlei Maß, wenn sie sie als die “Bösen” und “den Westen” als die “Guten” darstellen. Gegen Länder wie Kuba, Iran, Venezuela, Syrien, aber auch Russland und China haben die USA einseitig teils extreme Wirtschaftssanktionen verhängt und verlangen von allen anderen Staaten der Erde unter Androhung von Strafen, diese ebenfalls zu befolgen. Unabhängig davon, wie die Verhältnisse in diesen Ländern beurteilt werden: das ist völkerrechts- und menschenrechtswidrig. Diese Sanktionen kommen in ihrer zerstörerischen Wirkung unerklärten Angriffskriegen gleich, unter denen vor allem die Zivilbevölkerung zu leiden hat, mit vielen tausenden Toten durch Versorgungsmängel bei Nahrungsmitteln und Medikamenten. Auch Sanktionen der EU sind nicht durch UN-Beschlüsse gedeckt und stehen politischen Konfliktlösungen im Wege. Die NATO ist zu einem weltweit aktiven Kriegsführungsbündnis gemacht worden (Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen …). Es geht dabei nicht um Menschenrechte oder Demokratie, sondern um politische und wirtschaftliche Machtinteressen. Diktaturen, Terrorregime und Kriegsparteien, die den “Westen” unterstützen, haben nichts zu befürchten, sondern werden noch mit Waffen versorgt. https://nie-wieder-krieg.org/
Der Hickhack um die verkaufsoffenen Sonntage nimmt kein Ende. Die Hessische Landesregierung hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der im Wesentlichen die bisherigen Vorgaben fortschreibt, d.h. das Festhalten an einem begründeten Anlass als Voraussetzung und die Beschränkung auf maximal vier Tage im Jahr. Sie folgt damit weitgehend der im Grundgesetz (Artikel 140) festgelegten absoluten Sonntagsruhe sowie den Regelungen im Arbeitszeitgesetz (§ 9 Absatz 1), wobei die möglichen Ausnahmen bereits grenzwertig sind (Wenn 4 Sonntage, warum nicht 12? Wenn der Handel, warum nicht die Industrie?).
Auch wenn hier der Einfluss der Kirchen, die ihre Schäfchen sonntags lieber bei sich versammelt denn hinterm Verkaufstisch sehen wollen, eine Rolle gespielt hat, ist dies doch ein Beschluss im Interesse der Kolleginnen und Kollegen. Das Verbot der Sonntagsarbeit ist nämlich mitnichten ein Gesetz zur Regelung des Wettbewerbs o. ä., sondern zum Schutz der abhängig Beschäftigten, deren Verfügbarkeit bereits jetzt drastisch zugenommen hat – durch Arbeitszeitverlängerungen, ständige Erreichbarkeit, Arbeit auf Abruf… Jetzt jaulen alle diejenigen auf, die der Ausbeutung rund um die Uhr keine Grenze gesetzt sehen wollen, allen voran die FDP, die dazu auf der nächsten Sitzung des Stadtparlaments einen Antrag stellen will, und die AfD. OB Grabe-Bolz, Mitglied jener Partei, die einst als Arbeiterpartei firmierte, gab kund: „Die Universitätsstadt Gießen lehnt den Gesetzentwurf in allen Punkten entschieden ab. Er macht sonntägliche Öffnungen, die diesen Namen verdienen, rechtlich unmöglich und schränkt das kommunale Selbstverwaltungsrecht ohne Anlass unverhältnismäßig ein.“
Erika Beltz (aus Gießener Echo August 2019)
Neonazis planen Aufmarsch in Kassel am Jahrestag des Hitler-Attentats von 1944. Verbot seitens der Stadt noch nicht erhoben. Ein Gespräch mit Silvia Gingold
Die Dortmunder Neonaziorganisation »Die Rechte« plante am 20. Juli einen Aufmarsch durch Kassel. Die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten«, kurz VVN-BdA, forderte daraufhin die Stadtverwaltung auf, diesen zu untersagen. Am Mittwoch wurde mitgeteilt, die Verantwortlichen würden intensiv an einer Verbotsverfügung arbeiten. Ist das ein Erfolg?
Es ist zu befürchten, dass ein solches Verbot vor Gericht keinen Bestand haben wird, weil man sich auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit beruft. Wir sind aber der Überzeugung: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Vor zwei Wochen beteiligten sich 10.000 Bürger eines breiten Bündnisses von Institutionen und Organisationen an einer Kundgebung gegen rechte Gewalt anlässlich der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Verantwortliche Politikerinnen und Politiker haben ihre Abscheu gegen rechte Hetze zum Ausdruck gebracht und beteuert, dass in Kassel kein Raum für Neonazis sein darf. Danach kann es nur eine Konsequenz geben: den Aufmarsch zu verbieten.
Auch wenn sie jetzt tätig werden sollte: Die in Kassel regierende Koalition aus SPD, Grünen und der Liberalen Liste hatte sich zunächst abwartend geäußert …
Nach der Ankündigung der Rechten, aufmarschieren zu wollen, gab es in der Stadt eine Welle der Empörung. Die VVN-BdA hatte am Montag mit einer öffentlichen Erklärung an die Mitglieder des Magistrats und SPD-Oberbürgermeister Christian Geselle appelliert, jetzt beweisen zu müssen, dass die Reden bei der Kundgebung nicht nur leere Worthülsen waren. Am Dienstag abend verabschiedeten spontan mehr als hundert Menschen im DGB-Jugendclub einen gemeinsamen Aufruf: »Kassel nimmt Platz – no pasarán«. All das hat die Verantwortlichen unter Druck gesetzt. Noch am Dienstag hieß es in der lokalen Presse, ein großes Polizeiaufgebot werde die geplante Versammlung sichern. Auch aktuell rechnet man seitens der Behörde weiterhin damit, dass der rechte Aufmarsch stattfinden wird.
Linke Antifaschisten kritisierten, Mitglieder der rechten Szene würden sich rund eineinhalb Monate nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zu Opfern stilisieren. Wie ist das gemeint?
Die Partei »Die Rechte« hat unter dem Motto »Gegen Pressehetze, Verleumdung und Maulkorbphantasien« zum Marsch aufgerufen, der sogar am Regierungspräsidium vorbeiführen soll. Das ist perfide. Ausgerechnet diese Neonazis, die ein gesellschaftliches Klima herbeiführen, das zu Gewaltexzessen und Morden anheizt, spielen sich als angebliche Opfer auf. Zusätzliche Provokation ist, dass sie den Aufmarsch am 20. Juli planen – am Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler von 1944.
Während Sie selbst seit Jahren vom Verfassungsschutz als »Linksextremistin« beobachtet werden, agieren rechte Kräfte zunehmend offen auf der Straße. Als Tochter der kommunistischen Widerstandskämpfer Ettie und Peter Gingold: Wie werten Sie die derzeitige politische Stimmung im Land?
Man muss betonen: Der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke war seit Jahren nicht mehr im Visier des Verfassungsschutzes – wohl wissend um seine Vorstrafen, seine Gewaltbereitschaft, die er in Dortmund bei der 1.-Mai-Kundgebung 2009 zum Ausdruck gebracht hat, und dass er eingebunden war in rechte Netzwerke. Ich aber werde seit 2009 wegen meiner antifaschistischen und friedenspolitischen Tätigkeit sowie meiner Lesungen aus der Erinnerung meines Vaters beobachtet. Dabei geht es darum, an die Verbrechen der Nazis zu erinnern und daraus die richtigen Lehren zu ziehen. Das zeigt, wie der Verfassungsschutz arbeitet, und macht mich wütend.
Wie ist dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten?
Zum Teil hat die offizielle Politik dazu beigetragen, ein Klima zu schaffen, das den Rechten Auftrieb gibt: mit ihrer Abschottung gegen Asylsuchende, der inhumanen Politik mit Frontex auf dem Mittelmeer, den Zurückweisungen und Abschiebungen. Es gibt aber zugleich zunehmend größere und aktive Gegenbewegungen überall da, wo Neonazis aufgetreten sind, ob in Chemnitz oder Dortmund. So können wir Einfluss nehmen.
aus: Junge Welt, Ausgabe vom 12. Juli 2019. Das Interview führte Gitta Düperthal
Der Kreisvorstand der DKP Gießen befasste sich auf seiner letzten Sitzung mit dem Ausgang der EU-Wahlen, die den erwarteten Denkzettel für die Parteien der großen Koalition aus CDU/CSU/SPD erbrachten. Michael Beltz, Mitglied des Kreisvorstands, stellte fest, dass die Grünen als große Gewinnerin unverdient von dem gewachsenen Interesse an Klimaerwärmung und Ökologie profitiert hätten. Denn auch sie wollen an der kapitalistischen Produktionsweise, die für die Umweltzerstörung hauptverantwortlich ist, festhalten und hatten sogar als Teil der NRW-Landesregierung der Rodung des Hambacher Forstes zugestimmt.
Zwar hat die Initiatorin der Bewegung „Fridays for Future“, Greta Thunberg, die Notwendigkeit eines Systemwechsels klar benannt, aber in den hiesigen Berichten über die Demonstrationen war mehr von Flug- und Autoverzicht die Rede als von den Verbrechen der Industrie und der Umweltzerstörung durch Militär und Kriege.
Durch die mediale Fokussierung auf das Abschneiden der Rechten, deren Aufstieg in der BRD zum Glück gebremst wurde, und der CO2-Diskussion ist es gelungen, katastrophale Missstände wie die zunehmende Armut und Wohnungsnot als Wahlthema auszuklammern. Auch die immensen und weiter steigenden Rüstungsausgaben, die die Gefahr eines weiteren, möglicherweise atomaren, Krieges beinhalten, wurden nur von der DKP benannt, betonte Michael Beltz.